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Wie steht Frau Engel im Interview zur alles entscheidenden Frage: Wie hat frau ihren Orgasmus? „Klitoral und/oder vaginal? Es wird oftmals zwischen klitoral und vaginal unterschieden: Halten Sie das für sinnvoll?
Ja klar. Denn beides ist möglich und es lässt sich damit unterscheiden, wo die Aufmerksamkeit der Stimulation für die sexuelle Erregung liegt. Ein Orgasmus, der durch die gezielte Stimulation der Klitoris herbei geführt wird (das muss nicht immer der Klitoriskopf sein, denn die Klitoris ist weitaus mehr), wird als klitoraler Orgasmus bezeichnet. Hierbei kommt die Frau nicht durch die Penetration beim Sex, sondern wird davor, währenddessen oder danach mit der Hand, oral oder durch Sextoys zum Höhepunkt gebracht. So kann frau auch ohne vaginale Empfindsamkeit tollen Sex haben. Hat eine Frau zusätzlich gelernt, vaginal erregbar zu sein, kann ihr Sexleben noch variantenreicher werden. Sie kann einen vaginalen Orgasmus bekommen, der beim Sex durch Penetration ausgelöst wird. – Gibt es den rein vaginalen Orgasmus überhaupt?
Das ist eine heiß diskutierte Frage. Der vaginale Orgasmus entsteht meistens durch Stimulation von Vagina und Klitoris. Dennoch ist es möglich, beim Sex allein durch Penetration zum Höhepunkt zu kommen, also vaginal ohne gezielt die Klitoris zu stimulieren. Klitoris und Vagina sind jedoch sehr nah beieinander. Da die Klitoris nicht nur aus dem Klitoriskopf, sondern auch aus Schenkeln und Schwellkörpern besteht, die den Eingang der Vagina umschließen, wird die Klitoris im Gesamten immer auch mit stimuliert, wenn die Vagina zum Beispiel einen Penis aufnimmt. – Inwieweit hilft Masturbieren für die weibliche sexuelle Befriedigung? Raten Sie dazu?
Beim Sex zu kommen ist Übungssache. Überhaupt zu kommen, ist Übungssache. Dafür lohnt es sich, sich mit seinem Körper intensiv zu beschäftigen. All unsere Körperteile sind mit Nervenzellen ausgestattet, die durch Nervenbahnen direkt mit unserem Gehirn verbunden sind. Je häufiger eine Körperteil benutzt wird, desto reaktionsfreudiger das Gehirn, was wiederum mit intensiveren Empfindungen einhergeht. Da die Vagina im Gegenteil zum Penis eher versteckt ist, sind Frauen hier im Nachteil. Denn in der eigenen Sexualisierungsgeschichte wird die Vagina häufig nicht benutzt und damit nicht sensibilisiert. Bei Jungen passiert dies eher automatisch, da der Penis besser greifbar ist und in vielen Situationen wie zum Beispiel bei der Miktion berührt wird. DurchMasturbieren wird die Vagina aufgeweckt, trainiert und sensibilisiert. Frauen können dadurch für sich entdecken, was sie erregt, was ihre Erregung steigert und wie sie zum Orgasmus kommen. All dieses Wissen ist ja dann auch mehr als hilfreich in der partnerschaftlichen Sexualität und Kommunikation. – Ist der Orgasmus lernbar?
Natürlich. Sex ist lernbar und Lust sowie Orgasmen ebenfalls. Heute gibt es wunderbare Bücher wie ,Coming soon' (Dania Schiftan, 2018) sowie ,Viva la vagina' (Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl, 2018) oder auch Blogs wie ,Happy vagina', die ganz unaufgeregt, offen und frei von moralisierenden Wertungen über unser fabelhaftes sowie sensibles Organ – die Vagina – aufklären. Sie vertreten wie auch viele Sexologen unter anderem den Ansatz des Sexocorporal, der Sexualität und damit den Orgasmus als erlernbar ansieht. Dabei geht es viel um den Körper im Einklang mit dem Kopf. Über gezielte Übungen kommt frau ins Spüren und lernt den eigenen Körper und ihre Vagina besser kennen. Da der Kopf Orgasmen komplett lahmlegen kann, ist die Verortung des Gespürten im Gehirn besonders wichtig. Zusätzlich spielen auch Übungen zur sexuellen Vergangenheit oder zu sexuellen Fantasien eine entscheidende Rolle. Es geht also ganz viel um Wahrnehmen, Entdecken und Trainieren. Wenn dies allein schwer fällt, kann frau sich auch immer Unterstützung in meinem Kollegenkreis suchen. – Die Diskussion über den vaginalen und klitoralen Höhepunkt hat Tradition. Schon Sigmund Freud befasste sich damit. Er hatte den Einfall, den selbstgemachten klitoralen Orgasmus als unreif abzustempeln. Und postulierte: Erst wenn der Penis in die Vagina eindringt, sei ein reifer Höhepunkt möglich. Das ist doch ausgemachter Quatsch – oder?
Mir ist aktuell keine Studie bekannt, die die Aussage von Freud bestätigt. Als ausgebildete Verhaltenstherapeutin bin ich hier jedoch nicht die richtige Ansprechpartnerin, da müssten wir meine tiefenpsychologischen Kolleginnen fragen. – Wie gut müssen denn Männer über die weibliche Anatomie Bescheid wissen?
Erfüllte Sexualität will gestaltet werden und sich weiter entwickeln. Partnerschaftliche Sexualität braucht Spielräume, in denen beide Partner/innen einander fordern und herausfordern. Wenn zum Beispiel eine Vagina und ein Penis aufeinander treffen, bedeutet das oftmals nicht, gleich guten Sex zu haben. Sich ausschließlich mit der Klitoris zu befassen oder das typische ,Rein-Raus' des Penis, erregt biologisch gesehen die Zellen in der Vagina nicht wirklich, wenn frau diese vorher nicht trainiert hat. Das heißt, zu allererst sollte die Frau sich selbst entdecken und wissen, was ihr Lust bereitet. Tatsächlich kann jedoch ein wissender und damit spürender Mann mehr als unterstützend sein. Vielfältige Bewegungen beim Sex fernab des gängigen ,Rein-Raus', Langsamkeit und Druck, können die Scheidenwände hervorragend stimulieren und beiden Partnern viel Lust bereiten. Also ja, Männer sollten auf jeden Fall über die weibliche Anatomie Bescheid wissen. Da brauchen jedoch keine Ratgeber gewälzt werden, am besten funktioniert der Wissenserwerb immer noch, wenn ein Paar miteinander redet und sich gegenseitig spürt und entdeckt. – Übrigens: Du interessierst Dich für die Arbeit von Nicole Engel? Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin des Psychologicum Berlin.“
Der vaginale Orgasmus ein bloßer Mythos? Seine Existenz noch immer eine heiß diskutierte Frage!
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