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Weiter noch etwas im Netz mit ,Das Ende der Mystifizierung' von Anke Schaefer unter ,Deutschlandfunk Kultur'. Da finden sich zum weiblichen Orgasmus die absonderlichsten Theorien. Sogar Seminare werden abgehalten für Frauen, denen nicht ganz klar ist, wie sie mit der Sache zu Rande kommen.
Dürfte das Meiste aber nicht heißen, Eulen nach Athen tragen?
„Nicht jeder Orgasmus entsteht durch einen körperlichen Stimulus. Manche kommen ganz überraschend, sie entstehen im Kopf, zum Beispiel weil etwas sehr aufregend ist. Oder im Traum.
Martina: ,Ich wache manchmal von dem Gefühl auf, also von dem Orgasmus. Ich finde das dann total super. Dass das einfach so kommt, dass man dann schön davon geweckt wird.'
Klitoris wurde erstmals 1559 anatomisch beschrieben
Ist die Stimulation körperlich, dann ist es meist die Klitoris, die den Orgasmus auslöst.
Die Klitoris besteht aus dem sichtbaren Kopf, der ,Perle', mit ihrer Vorhaut, die wie ein ,Kapüzchen' aussieht, dem Schaft und den beiden Klitorisschenkeln. Diese verlaufen in der Tiefe und umschließen den Scheideneingang.
Schreibt Dania Schiftan in ,Coming Soon'.
Obwohl die Klitoris erstmals 1559 von einem italienischen Anatomen beschrieben wurde, und Georg Ludwig Kobelt 1844 eine sehr detaillierte anatomische Beschreibung vorlegte, weiß man erst seit gut 20 Jahren, wie weitverzweigt die tiefer liegenden Strukturen der Klitoris wirklich sind.
Sie erstreckt sich bis zu 11 Zentimeter ins Innere der Frau und kann, wenn sie erregt ist und sich mit Blut füllt, auf die doppelte Größe anschwellen. Der Klitoriskopf sitzt am oberen Ende der kleinen Schamlippen, in der Mitte zwischen den beiden großen Schamlippen.
Zwar kann der Reflex, der zum Höhepunkt führt, auch allein durch Reizung der Vagina und des Gebärmutterhalses ausgelöst werden, doch meist – Heike Melzer zufolge in 90 Prozent der Fälle – entsteht der Orgasmus durch die Erregung der Klitoris. Liegt der sehr sensible Klitoriskopf anatomisch nahe an der Vagina und erfährt so Reibung während der Stimulation durch den Penis, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau im partnerschaftlichen, heterosexuellen Sex kommt, höher, als wenn der Klitoriskopf weiter von der Vagina entfernt liegt.
,Die Frauen machen sich oftmals so einen Stress, dass sie versuchen, diesen vaginalen Orgasmus zu bekommen. Ich würde den vaginalen Orgasmus nicht dem klitoralen überlegen sehen. Auf gar keinen Fall. Ich würde eher den Frauen Selbstbewusstsein wünschen: Bei mir sind halt, genau wie bei allen anderen Frauen die meisten Bewegungsrezeptoren an der Klitoris und die können über den Penis stimuliert werden, aber eigentlich vielleicht nicht ganz so gut wie über eine Hand oder eine Zunge', sagt Heike Melzer.
Sigmund Freud brachte die Klitoris in Verruf
Es war Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, der die Klitoris in Verrufenheit brachte. Er begründete den Mythos, dass der Höhepunkt, der durch die reine Penetration der Vagina entsteht, dem Orgasmus, der durch die Reizung der Klitoris ausgelöst wird, weit überlegen sei. Sehr zum Ärger vieler Frauen und Feministinnen.
Die äußeren, klitoralen Empfindungen wurden entwertet, als zweitrangig, zufällig oder neurotisch erklärt, was die Männer dann immer wieder als Argument benutzt haben, um sich mit ihren eigenen Wünschen durchzusetzen und um jeden möglichen Anspruch der Frauen auf eigene Lust auszuschließen.
Schreibt Christiane Olivier in ,Jokastes Kinder'.
Natalie: ,Für mich gibt es gar nicht so einen Unterschied zwischen dem klitoralen und vaginalen, das ist ein Gefühl der Kontraktion und Entspannung und die kann ich gar nicht so auseinanderhalten.'
Elke: ,Da merke ich jetzt keine Unterschiede, weiß ich auch ich nicht, wie das sein soll.'
Martina: ,Ich würde behaupten, dass ich das kenne. Vaginal, das geht – glaube ich – viel tiefer.'
Slow Sex hinterfragt den Fokus auf die Klitoris
Im Slow Sex, dem langsamen Sex, so wie ihn Diana Richardson in Seminaren lehrt, wird der Fokus auf die Klitoris hinterfragt. Nicht dass sie Freuds Meinung wäre, sie hat einen völlig anderen Ansatz: ,Die Klitoris ist süß und wunderbar. Aber es ist ein Missverständnis, zu glauben, dass sie das Zentrum der weiblichen Sexualität ist.'
Diana Richardson hat lange in Indien gelebt und sich mit dem alten tantrischen Wissen beschäftigt. ,Der klitorale Orgasmus entsteht durch Intensität und Erregung. Der vaginale Orgasmus hingegen entsteht aus einer sehr tiefen Entspannung heraus. Das ist so, als würde die Vagina schmelzen – in Beziehung zum Penis. Das ist sehr, sehr ekstatisch. Das ist die Folge einer inneren Öffnung und einer erhöhten Sensibilität. Da geht es nicht um einen Höhepunkt und dann um Entspannung. Dann entsteht dieses unglaubliche Gefühl, das sich im Körper ausbreitet... Wir Frauen haben die Tendenz, die Vagina zusammenzupressen, wenn wir sie aber weit halten und ganz bewusst spüren, dann kann das eine neue Tür öffnen. Eine wunderschöne Erfahrung, die viele Frauen nicht haben.'
Wie lässt sich der weibliche Orgasmus beschreiben? Dieser Moment, in dem die Welt sich auflöst? Die französische Schriftstellerin Catherine Millet, deren Buch ,Das sexuelle Leben der Catherine M.' in Frankreich Furore gemacht hat, sagte in einem SZ-Interview, am besten habe das ein Mann gekonnt. Einer, der – wie sie sagt – sehr viel Zeit mit Frauen verbracht hat. Der englische Schriftsteller D.H. Lawrence.
,Und auf dem Grund ihres Innern teilten sich die Tiefen und wogten auseinander von dem Mittelpunkt sanften Eindringens aus, als der Taucher tiefer eindrang, immer tiefer, sie immer tiefer berührte, und tiefer, tiefer, tiefer, wurde sie bloßgelegt, und machtvoller rollten die Wogen ihres Seins dahin, fort von ihr, ließen sie zurück, bis jäh, in sanftem, schauerndem Erdbeben, der Kern all ihres Plasmas getroffen wurde – sie sich getroffen wusste – und die Vollendung über sie kam und sie verging.'
Nachzulesen in ,Lady Chatterley' von D.H. Lawrence.
Natalie: ,Diese Ekstase, die in dem Chatterley-Text auch vorkommt, die kenne ich eigentlich gar nicht. Wenn man das hört – dann denkt man – was ist denn da noch für ein Spielraum?!! Wie geht denn das? So. Klar!'“ –
Indes, dass „nicht jeder Orgasmus durch einen körperlichen Stimulus“ entsteht und „manche ganz überraschend“ kommen: „sie entstehen im Kopf, zum Beispiel weil etwas sehr aufregend ist“, scheint zweifelhaft, sofern dabei – analog dem männlichen Pollutionstraum – nicht auch körperliche Stimulation mit im Spiel ist. Wie verläuft dieser körperliche Stimulus? Eher vaginal oder klitoral? Zwar kann der Reflex, der zum Höhepunkt führt, auch – so Heike Melzer – allein durch Reizung der Vagina und des Gebärmutterhalses ausgelöst werden, doch meist entsteht – in 90 Prozent der Fälle – der Orgasmus durch die Reizung der Klitoris. So nicht auch im Traum?
Dass Sigmund Freud „sehr zum Ärger vieler Frauen und Feministinnen“ – das heißt der Frauen, die sich über den weiblichen Orgasmus überhaupt explizit äußern – durch „den Mythos, dass der Höhepunkt, der durch die reine Penetration der Vagina entsteht, dem Orgasmus, der durch die Reizung der Klitoris ausgelöst wird, weit überlegen sei“, die Klitoris „in Verrufenheit brachte“, indem dadurch „die äußeren, klitoralen Empfindungen entwertet, als zweitrangig, zufällig oder neurotisch erklärt“ wurden – was „die Männer dann immer wieder als Argument benutzt haben, um sich mit ihren eigenen Wünschen durchzusetzen und um jeden möglichen Anspruch der Frauen auf eigene Lust auszuschließen“ –, hatten wir schon. Offenbar stellt der olle Sigmund den (primär klitoralen) weiblichen Sex vaginal auf den Kopf, von wo er wieder – zur Freude vieler Frauen und Feministinnen, i.e. der Frauen, die sich um den weiblichen Orgasmus überhaupt was scheren – auf die klitoralen Füße (da dann eher Schenkel) gestellt werden müsse!
Nicht ganz ohne Neid, ließe sich sagen, begegnen wir da der anonymen Jungfer Martina Bekenntnis, „ich wache manchmal von dem Gefühl auf, also von dem Orgasmus. Ich finde das dann total super. Dass das einfach so kommt, dass man dann schön davon geweckt wird“! Da dies so unmittelbar vor der erwähnten Beschreibung der Klitoris 1559 erscheint, ist es wohl so zu verstehen, dass es zuerst und vor allem deren Stimulation ist, die Martinas Orgasmus triggert.
Nicht typisch daher und ziemlich verdächtig wieder, dass Catherine Millet, deren Buch ,Das sexuelle Leben der Catherine M.' von der Kritik im Allgemeinen als ,eiskalt' und wenig aufschlussreich beurteilt wird, zur Beschreibung des weiblichen Orgasmus – so als wüsste sie selber gar nichts oder nur Unzulängliches darüber – einmal mehr auf den notorischen D.H. Lawrence zurückgreifen muss, einen prononciert männlichen Autor und phallischen Typ, von dem die entsprechende Kompetenz doch am wenigsten zu erwarten sein dürfte? Bedenklicher da also schon das darauffolgende Bekenntnis Natalies, dass sie „diese Ekstase, die in dem Chatterley-Text auch vorkommt, eigentlich gar nicht“ kenne!
Gar nicht, vermuten wir, aus dem Geschlechtsverkehr zwischen Frau und Mann – hier Constance Chatterley und Oliver Mellors –, wohingegen sie es bei ihrer klitoralen Selbstbefriedigung: „Wenn ich es drauf anlege, kann ich ihn ganz schnell haben. Weil man sich kennt, weil man seine reizbaren und erregbaren Stellen weiß und damit umgehen kann, damit spielen kann“, doch zur Genüge erfährt!
Dies ziemlich im Einklang mit Heike Melzers Expertise dann doch, der zufolge übereinstimmend mit unserer Analyse in „90 Prozent der Fälle der Orgasmus durch die Erregung der Klitoris“ ausgelöst werde: „Liegt der sehr sensible Klitoriskopf anatomisch nahe an der Vagina und erfährt so Reibung während der Stimulation durch den Penis, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau im partnerschaftlichen, heterosexuellen Sex kommt, höher, als wenn der Klitoriskopf weiter von der Vagina entfernt liegt.“
Ihr Wort in Gottes Ohr! Fragt sich nur, wann und unter welchen Umständen besagter sensibler Klitoriskopf – die zärtlich so genannte ,Perle' – anatomisch irgend nahe genug an der Vagina liegen und so genügend „Reibung während der Stimulation durch den Penis“ erfahren könnte – und somit „die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau im partnerschaftlichen, heterosexuellen Sex kommt, höher“ wäre, wo doch offen genug zu Tage liegt, dass der Klitoriskopf normalerweise allzu weit „von der Vagina entfernt liegt“, als dass er aller menschlichen Wahrscheinlichkeit nach durch den Penis stimuliert werden könnte!?
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