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  • freudholdriesenhar

Was ist die Beziehung zwischen Sex und Religion?

Blog 17


Was sollte daran, was doch alle tun, anstößig sein? Inzwischen war die weibliche Selbstbespaßung sogar schon auf den Brettern, die die Welt bedeuten, wenn auch nur in effigie, zu Hause. Den Vogel schoss die beliebte Sängerin Madonna ab. Bei ihrer Welttournee ,Blond Ambition World Tour' 1990 simulierte sie vor Tausenden von Zuschauern ganz überzeugend eine Masturbation auf der Bühne, sei's um der bloßen Provokation willen, sei's um ihren Geschlechtsgenossinnen zu zeigen, wo's lang geht, sei's um ihre ganz persönliche Sinnlichkeit unter Beweis zu stellen – jedes dieser Motive scheint durchaus berechtigt und respektabel.

Natürlich hat auch Madonna Louise Ciccone in der Onanie jede Menge Erfahrung.

In einer Fernsehdoku darüber heißt es, sie zeige ,Geschlechtsverkehr'; vermutlich ist man beim Öffentlich-Rechtlichen aber bloß zu verschämt, das Wort ,Masturbation' überhaupt in den Mund zu nehmen.

Nun also, demnach hat der Popstar eben Geschlechtsverkehr mit sich selbst! Dabei trägt sie grell ausgefallene, von dem Pariser Modeschöpfer Jean Paul Gaultier entworfene Outfits, wie extrem knappe Höschen und ein Korsett mit zwei spitz zulaufenden Ausstülpungen vor den Brüsten. So fläzt und räkelt sie sich vor Tausenden begeisterter Anhänger auf ihrem Bühnenbett, legt sich auf den Rücken, nimmt ihre gut trainierten Schenkel weit auseinander, fasst sich mit der Hand in den Schritt und scheuert sich unter ekstatischen Ganzkörperzuckungen was das Zeug hält.

Danach geht sie mit gespreizten Beinen auf die Knie und rubbelt sich von unten her an der Vulva. Die Tournee startet am 13. April 1990 im Makuhari-Stadion in der japanischen Präfektur Chiba und geht bestimmt über Tokyo. Danach folgen zahlreiche Konzerte in den Vereinigten Staaten und Kanada, und im Sommer steht Europa auf dem Spielplan.

Kaum eine Performance prägt Madonnas Image mehr als ihre Darbietung von ,Like a Virgin'. Die Polizei in Toronto droht sie zu verhaften, wenn sie die Masturbationsszene nicht auslässt. Warum aber sollte sie? Woher die falsche Scham? Sie demonstriert nur öffentlich und offiziell, was in den heimischen vier Wänden bestimmt auch in Kanada alle tun. Così fan tutte. Bestimmt auch die Polizistinnen von Toronto bis Alberta.

In Italien rufen katholische Gruppen zum Boykott der Konzerte auf. Dabei ist Madonna doch viel harmloser als der ganze Katholizismus, ein Konglomerat von phantasierenden Metaphysikern und Kinderschändern. Der Vatikan unter Papst Paul appelliert zum Boykott von Madonnas Konzert in Rom. Dabei ist Madonna doch viel ehrlicher und aufgeklärter als der scheinheilige Oberhirt. Gibt es im Vatikan keine Masturbation?

Das zweite, im Stadio Flaminio in Rom geplante Konzert wird gestrichen. Das zeigt den Konflikt zwischen Religion und enthemmtem Sex. Freizügiger Sex beweist, dass es nichts gibt, was die menschliche Freiheit, solange es keinem schadet, einschränken darf. Und wem sollten Madonnas sexuelle Allüren schon schaden?

Im Grunde geht der Konflikt vermutlich tiefer, denn alle religiösen ,Tabus' gründen letztendlich in einem angeblich ,göttlichen' Gebot. Einem vermeintlichen Gebot des schimärischen Popanzes ,Gott'. Werden daher sexuelle Tabus so konsequent ignoriert wie von Madonna, dann werden alle religiös begründeten Tabus provokativ geleugnet; werden alle religiösen Tabus geleugnet, werden zugleich damit auch alle phantastischen göttlichen Gebote geleugnet. Und werden alle göttlichen Gebote geleugnet, wird gleichzeitig damit auch der Popanz ,Gott' selbst geleugnet. Längst überfälliger Weise natürlich.

Die Schocktherapie ist dieselbe“, schrieb seinerzeit der Philosoph Ludwig Marcuse, der unbedankte Aufklärer der Deutschen. „Wer sich seiner Sinnlichkeit erfreue, glaube an nichts, was den Menschen übers Tier erhebt; wer sich der Sinnenlust hingebe, sterbe wie ein Tier – der letzte Atemzug ist das Ende. Wenn es keinen Gott gibt“, so schon Dostojewski, „dann ist alles erlaubt“; umgekehrt legt Madonna dadurch, was sie sich alles erlaubt, nahe, dass es auch wirklich keinen Gott gibt!

Wenn ich auf die Knie gehe, ist es nicht, um zu beten“, ketzert sie gotteslästerlich. Daher schreien alle Betschwestern Zeter und Mordio, wo immer sie blasphemisch auf die Knie geht.

Am 5. August 1990 endet ihre umstrittene ,Blond Ambition Tour' in Nizza. Das Konzert wird exklusiv in den USA im Fernsehen von HBO übertragen und erzielt hohe Einschaltquoten. Das Album ,Like A Virgin' verkauft sich rund 20 Millionen Mal und gehört zu den 100 meistverkauften Alben aller Zeiten. In Interviews stellt man ihr die Frage, warum es immer um Sex gehen muss?

Da fragen die noch! Geradeso gut könnte man fragen, warum es immer ums Geld gehen muss? Der Sex ist ein menschliches Universale. Schon Arnold Ruge und Karl Marx gaben Heine die Empfehlung: „Lassen Sie doch die ewige Liebesnörgelei und zeigen Sie den poetischen Lyrikern mal, wie man das richtig macht – mit der Peitsche.“

Genauso macht es Madonna – mit der Peitsche!

Madonna, heißt es, war damit ihrer Zeit um zwanzig Jahre voraus; gemeint ist sicher die heutige Zeit des Onlinesex, wo die Myriaden masturbierender Frauen tatsächlich kaum mehr überschaubar sind. So ist Madonna die beispielhafte Vorkämpferin der modernen aufgeklärten, emanzipierten, mündigen Frau, die sich ihrer sexuellen Selbstbestimmung nicht zu schämen braucht. (Vielleicht waren ihre Shows sogar noch aufgeklärter als sie selber. Denn: „Mehrmals war Madonna schon in Israel bei Kabbala-Treffen, unterstützte das Kabbala-Zentrum finanziell und warb unter ihrem selbstgewählten Namen ,Esther' neue Mitglieder.“)

Mithin zeigen ihre Videos nicht sowohl ihre Verruchtheit, als vielmehr bloß die alltägliche Normalität dessen, was jede Frau privatim sowieso tut. Man sollte ihr, Madonna, dafür dankbar sein. Die zahllosen Klagen, die weltweit bei den Gerichten gegen sie angestrengt wurden, gingen schon deswegen ins Leere, weil sie keineswegs zum geforderten Auftrittsverbot des Superstars führten. Die Richter sind ja auch nicht von gestern.

Auch Madonnas Konzert in Hannover sollte boykottiert werden, wozu typischer Weise die damalige Landesbischöfin Margot Käßmann aufrief. Frau Käßmann hätte ihren Käse lieber für sich behalten sollen, denn die Befreiung der Sexualität scheint wichtiger als ihre metaphysischen Ressentiments. Wie überhaupt die Befreiung von aller Religion!

Auf die Kritik der Kirche reagierte Madonna mit einer Einladung des Papstes persönlich zu ihrer römischen Show, was zu neuer Kontroverse führte. Frau Käßmann war vermutlich nicht eingeladen. Der Papst sollte sich Madonna lieber als Beispiel nehmen: Der Kirche laufen die Leute scharenweise davon – eine halbe Million letzthin –, der Madonna aber nicht, und wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Diese Klagen zeigen nicht die Verruchtheit Madonnas, sondern die intellektuelle Retardiertheit noch großer Teile der heutigen Welt. Es sind die Selbstschüsse und Fußangeln globaler Unaufgeklärtheit.

Die Geistlichkeit herrschte im Dunkeln durch die Verdunkelung des Geistes“, heißt es in Heines ,Rabbi von Bacherach'; daran hat sich bis heute noch zu wenig geändert.

Wäre die Welt so aufgeklärt wie Madonna – oder so aufgeklärt, wie sie sich gibt –, bräuchte sie erst gar nicht mehr auf der Bühne zu masturbieren. Kein Hahn mehr würde danach krähen. Alle würden nur noch gelangweilt die Luft durch die Nase ablassen. Sie bräuchte dann wenigstens nicht mehr öffentlich zu onanieren, und es gäbe auch keinen Grund mehr, dagegen zu klagen. Aber wäre das nicht schade?

Nun, wer weiß, was sie stattdessen täte? Vielleicht in natura, was sie in ,Body of Evidence' mit Willem Dafoe bloß filmisch simuliert? – Leider war ich selber in keiner von Madonnas Shows. Man kann das Gleiche aber auch anderswo, und noch viel naturgetreuer und expliziter sehen. Inzwischen nämlich braucht auch Madonna nichts dergleichen mehr zu faken. Angesichts ihrer masturbierenden Geschlechtsgenossinnen im Netz würde es ihr höchstens die Schamröte ins Gesicht treiben. Ob sie mit den Onlinevirtuosinnen überhaupt noch mithalten könnte? Auch hier scheint das Netz schon aufgeklärter als alle Bemühungen Madonnas.

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