Blog 107
Am Ende mündet die ,wissenschaftliche' Diskussion in die manifeste Absurdität: „Das führt“, so Pöppel, „zu der These, die auch von vielen anderen Forschern vertreten wird, dass der weibliche Orgasmus ein entwicklungsgeschichtliches Nebenprodukt des männlichen Orgasmus sei. Da für den Mann ein Orgasmus eine biologische Notwendigkeit ist, u.a. zur Erhaltung der menschlichen Art, und da von der physiologischen Ausstattung her gesehen Mann und Frau recht ähnlich sind (trotz der bekannten Unterschiede), sind auch Frauen potentiell orgasmusfähig, obwohl für sie der Orgasmus, biologisch gesehen, keinen primären Nutzen hat.
Wenn nun der weibliche Orgasmus nur Nebenprodukt eines Selektionsprozesses der Evolution ist, der eigentlich auf die Ausprägung des männlichen Orgasmus zielte, so heißt dies aber keinesfalls, dass aufgrund einer nicht gegebenen biologischen Funktion der weibliche Orgasmus psychologisch bedeutungslos wäre. Wann immer eine Frau ihre orgastischen Möglichkeiten entdeckt, erschließt sich ihr damit eine neue Erlebnis-Dimension. Die damit verbundene Lust wird dazu führen, dieses Erlebnis wiederholen zu wollen. Auch wenn der Orgasmus vielleicht zunächst kein unmittelbares Bedürfnis war, wird aus dem damit möglichen Lustgewinn ein Bedürfnis entwickelt. Und damit ergibt sich sekundär, d.h. also über das Lernen der eigenen Lust, dass Sexualität bindungsfördernd zwischen Partnern sein kann.“
Das leuchtet ein: Wen immer, der einmal seine orgastischen Möglichkeiten entdeckt und dem sich damit eine neue Erlebnis-Dimension erschließt, würde die damit verbundene Lust denn nicht dazu führen, dieses Erlebnis wiederholen zu wollen?
Der weibliche Orgasmus ein entwicklungsgeschichtliches Nebenprodukt des männlichen? Dergestalt, dass der Allmächtige, als er aus Adams Rippe Eva schuf, ihr als hedonistisches Zubrot und Almosen auch gleich dessen muntere Orgasmusfähigkeit mitgab? So wie die Frau in der biblischen Schöpfungsgeschichte – die auch heute noch nicht nur von amerikanischen Kreationisten für wahr gehalten wird – überhaupt nur als das Nebenprodukt der männlichen Schöpfung erscheint? Das könnte wieder mal in den chauvinistischen Kram passen! Versuchen Sie aber mal, eine so mächtige Maschinerie wie den weiblichen Reproduktionsapparat aus einer einzigen männlichen Rippe zu schaffen!
Dass für sie, die Frau, der Orgasmus, biologisch gesehen, keinen primären Nutzen hat? Das verwechselt ,biologisch' mit ,proliferativ': Denn auch die authentische Lustfähigkeit der Frau ist ja, wenn auch keine fortpflanzungsbedingte, so doch nichtsdestoweniger biologische Funktion und hat als solche auch einen biologisch primären Nutzen: ihre gleichberechtigte egalitäre Sexuallust!
Am Ende kommt Pöppel auch selbst auf den Trichter, lenkt versöhnlich ein und gibt kulant zu verstehen, dass trotz des vermeintlich fehlenden ,biologischen' – sprich, prokreativen – Nutzens der weibliche Orgasmus doch keineswegs psychologisch bedeutungslos ist: Wann immer eine Frau ihre orgastischen Möglichkeiten entdeckt, erschließt sich ihr damit eine neue Erlebnis-Dimension: die der sexuellen Selbstbefriedigung. Und zwar entdeckt die Frau ihre orgastischen Möglichkeiten für gewöhnlich früh genug – „früh, schrecklich früh, wenn man in Frieden noch mit Gott und der Welt leben sollte“ (Tonio Kröger) –, schon als junges Mädchen, und damit auch die damit erschlossene neue hedonistische Erlebnis-Dimension, – und wir können versichert sein, dass sie beizeiten ausgiebigen Gebrauch davon macht.
Und wenn der Orgasmus zunächst ,kein unmittelbares Bedürfnis' war, so nur deshalb nicht, weil sie ihn noch nicht kannte. Jetzt aber bedingt die damit erfahrene profunde Lust ein Bedürfnis, und zwar eines, das ihr Leben lang anhält. Dass damit sekundär, über das Erleben der eigenen Lust hinaus, der Sex bindungsfördernd zwischen Partnern sei, muss allerdings zutiefst fragwürdig bleiben in Anbetracht dessen, dass der männliche Partner zu der ihr eigenen optimalen – also klitoridalen – Lust eigentlich keine organische Beziehung hat, davon eher ablenkt und ihr im Wege steht.
Ungewiss nämlich nach wie vor die auch von Pöppel proklamierten „zwei Orgasmusformen“ der Frau. Dass die dadurch bedingte angebliche „größere Offenheit“ auch bedeutet, dass „durch individuelle Erfahrung das Erleben von Lust sehr viel differenzierter kultiviert werden kann, als dies für den Mann möglich zu sein scheint“, ist schwer nachvollziehbar insofern, als die weibliche Lust primär ja nicht durch den Koitus, sondern zuerst und vor allem in der Selbstbefriedigung kultiviert wird, wo aber der Mann über sichtlich kaum weniger Offenheit und weniger hedonistische Möglichkeiten verfügt.
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