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Sind wir zwischen Daumen und Fingern besser dran?

Blog 84


Die schnoddrige Behauptung, „zwischen Daumen und Zeigefinger“ sei „man sowieso besser dran“, stammt aus dem Roman ,Molloy' des irischen Literaturnobelpreisträgers von 1969, Samuel Beckett, der so großen Wert auf seine Obszönitäten legte, dass er immer dann, wenn eine dieser Stellen der Schere zum Opfer fallen sollte, die Publikation überhaupt verweigerte. Ich gebe um der Beckettschen Radikalität willen die Stelle für den, der sie nicht kennt, ganz ohne Anführungszeichen (aus Respekt vor dem Autor ungekürzt) wieder:

… Sie war es, die mich in die Liebe einweihte. Sie trug den friedlichen Namen Ruth, glaube ich, aber ich kann es nicht versichern. Vielleicht nannte sie sich Edith. Sie hatte ein Loch zwischen den Beinen, oh, nicht ein Spundloch, wie ich es mir immer vorgestellt hatte, sondern ein Ritze, und ich steckte, oder vielmehr sie steckte mein sogenanntes männliches Glied hinein, nicht ohne Mühe, und ich stieß und strengte mich mit Keuchen an, bis ich einen Erguss hatte oder bis ich es aufgab oder sie mich anflehte aufzuhören. Ein saudummes Spiel, finde ich, und noch dazu auf die Dauer ermüdend. Aber ich gab mich ziemlich bereitwillig dazu her, weil ich wusste, dass dies die Liebe war, denn so hatte sie mir gesagt. Sie beugte sich ihres Rheumatismus wegen über die Cosy, und ich stieß von hinten in sie hinein. Es war die einzige Position, die sie aushalten konnte, infolge ihres Rückenwehs. Ich fand das natürlich, denn ich hatte den Hunden zugesehen, und ich war erstaunt, als sie mir anvertraute, dass man die Sache auch anders anfangen könne. Ich frage mich, was sie genau damit gemeint hat. Vielleicht führte sie mich einfach in ihr Rectum ein. Das war mir im höchsten Grade gleichgültig, wie Sie sich denken können. Aber ist das die wahre Liebe, im Rectum? Das ist die Frage, die mich beunruhigt. Sollte ich trotz allem die Liebe niemals kennengelernt haben? Auch diese Frau war überaus platt und bewegte sich mit kleinen, steifen Schritten, wobei sie sich auf einen Stock aus Ebenholz stützte. Es war vielleicht auch ein Mann, noch einer. Aber wären in diesem Falle unsere Hoden nicht aneinander gestoßen, während wir uns hin und her bewegten? Vielleicht hielt sie, gerade um das zu vermeiden, die ihren zusammengedrückt in ihrer Hand. Sie trug viel raschelnde Unterröcke, Spitzen und andere Unterwäsche, deren Bezeichnung ich nicht kenne. Alles das hob sich mit Rauschen und Knistern, und wenn die Verbindung hergestellt war, senkte es sich langsam kaskadenförmig darauf nieder. So dass ich nichts sah außer diesem gelblichen Nacken, der sich spannte, als ob er brechen wollte, und in den ich manchmal leicht hineinbiss, so groß ist die Macht des Instinkts. Wir schlossen unsere Bekanntschaft auf einem Gelände ohne bestimmtes Aussehen, ich würde es unter Tausenden wiedererkennen, und trotzdem gleichen sie einander, die unbestimmten Gelände. Was sie dort vorhatte, weiß ich nicht; ich rührte lässig in den Schutthaufen herum, während ich mir wahrscheinlich sagte (denn in diesem Alter hatte ich wohl noch einige allgemeine Ideen): das ist dein Leben. Sie hatte keine Zeit zu verlieren, ich hatte nichts zu verlieren, ich würde mich mit einer Ziege eingelassen haben, um die Liebe kennenzulernen. Sie hatte eine niedliche Wohnung, nein, nicht niedlich: dort bekam man Lust darauf, eine Ruhestätte zu finden und sich nie wieder daraus wegzubegeben. Die Wohnung gefiel mir. Sie war voll von kleinen Möbeln, unter unseren Stößen setzte die Cosy sich auf ihren Rollen in Bewegung, alles um uns herum fiel zu Boden, die Hölle war los. Die Beziehungen zwischen uns waren nicht ohne Zärtlichkeit; sie schnitt mir mit leicht zitternder Hand die Fußnägel, und ich rieb ihr das Kreuz mit einer Mixtur ein. Unsere Idylle dauerte nur kurz. Arme Edith, vielleicht beschleunigte ich ihr Ende. Nun ja, aber sie ist es doch gewesen, die in dem unbestimmten Gelände den ersten Schritt getan hat, indem sie mit der Hand über meinen Hosenschlitz fuhr. Gnauer gesagt, ich hatte mich über einen Abfallhaufen gebeugt, in der Hoffnung, etwas zu finden, was mir den Hunger verleiden könnte, als sie sich mir von hinten näherte, ihren Stock zwischen meine Bein schob und anfing, gewisse Teile meines Körpers zu streicheln. Nach jeder Lustpartie gab sie mir Geld, mir, der ich auch ohne Bezahlung mich gefreut hätte, die Liebe kennenzulernen und tiefer zu erforschen. Sie war keine praktisch denkende Frau. Ich glaube, ich hätte eine weniger trockene und nicht so große Öffnung vorgezogen, das hätte mir eine höhere Meinung von der Liebe gegeben. Nun also. Zwischen Daumen und Zeigefinger ist man sowieso besser dran. Aber die Natur kümmert sich gewiss nicht um solche zufälligen Umstände. Und vielleicht entsteht die wahre Liebe nicht, wenn man es bequem hat, sondern wenn das Glied wie toll nach einem Gegenstand sucht, an dem es sich reiben kann, und nach befeuchtendem Schleim und, im Fall es nichts findet, seine Schwellung behält, anstatt zusammenzuschrumpfen, vielleicht erhebt sie sich dann hoch über alle Fragen niederen Kalibers.

Ende dieses Zitats, wie es sich mit umwerfender Komik über den Sex lustig macht!

Wie sich der Vorgang dann in praxi abspielt, berichtet Jacques Moran:

In diesem Halbschlummer freute ich mich, dass mir das Einschlafen gelungen war, als mein Sohn ohne anzuklopfen eintrat. Nun verabscheue ich nichts mehr, als dass jemand mein Zimmer betritt, ohne anzuklopfen. Ich könnte ja gerade dabei sein, vor meinem dreiteiligen Spiegel zu onanieren. Wirklich ein wenig erbauliches Schauspiel für einen Knaben, seinen Vater zu erblicken, wie er sich mit weitgeöffnetem Hosenlatz und verdrehten Augen einen trüben und schalen Rausch abnötigt. Ich ermahnte ihn mit fester Stimme, Anstand und Sitte zu wahren.

Das las ich, und hatte es zu verdauen, im Alter von zwanzig zum Abitur. Den Witz sah ich darin, dass der Vater den Sohn mit fester Stimme zu ,Anstand und Sitte' ermahnt, während er selber bei offener Tür vor dem Spiegel masturbiert, beziehungsweise es ganz ungeniert, als hätte es mit Anstand und Sitte gar nichts zu tun – wobei er vermutlich Recht hat –, dem Zuhörer offenbart. Und es würde mich nicht wundern, wenn Beckett es gerade um dieser grotesken Komik willen bringt. Apokalyptischer Slapstick! Was wohl Suzanne Deschevaux-Dumesnil, Sams Freundin und spätere Frau, dazu gesagt hat? Was Goethe dazu gesagt hätte, weiß ich nicht, aber schon Heine hätte wohl mit homerischem Gelächter darauf reagiert! –

Moran an späterer Stelle: Da ich endlich allein war, ohne einen anderen Zeugen als Gott, benutzte ich die Gelegenheit, um zu masturbieren. Gewiss war meinem Sohn derselbe Gedanke gekommen, und er war stehengeblieben, um zu masturbieren. Hoffentlich hatte er mehr Vergnügen dabei empfunden als ich.

Der Autor schreibt all dies mit solcher Selbstverständlichkeit, als sei die Masturbation die gängige Form geschlechtlicher Befriedigung, und vielleicht nicht nur der männlichen; und vermutlich war das mit ein Grund, warum die Romantrilogie bei ihrem Erscheinen 1951 ihrer Obszönitäten wegen in einigen Ländern verboten wurde. Dabei war es nur ehrlich; und wahrscheinlich war das gerade der Grund, warum es verboten wurde. Da schien sich seit einem Jahrhundert nichts geändert zu haben, nachdem schon der Redakteur Heinrich Laube in einem Brief vom 27. November 1842 manche Verse Heinrich Heines in ,Atta Troll' mit dem Hinweis beanstandete, er habe „keinen schlimmeren Erfolg zu gewärtigen, wenn Sie ,onaniren' sagen, so Ekel erregend ist diese Kankan-Geschichte“.

Dass das Vergnügen der Geschlechter auf Gegenseitigkeit beruht, zeigt sich in Becketts ,Malone stirbt': Nach beendeter Mahlzeit war Edmond zu Bett gegangen, um in Ruhe onanieren zu können, vor der Ankunft seiner Schwester, die sein Zimmer mit ihm teilte. Nicht dass er sich genierte, wenn seine Schwester da war. Sie genierte sich auch nicht, wenn ihr Bruder da war. Sie lebten beengt, gewisse feine Manieren waren nicht möglich.

Und später über die Entwicklung der Beziehungen zwischen Macmann und seiner Wärterin: Allmählich entstand zwischen ihnen eine Art Intimität, die sie in einem gewissen Augenblick dazu führte, zusammen zu schlafen und sich, so gut sie konnten, zu paaren. Denn in ihrem Alter und bei ihrer geringen Erfahrung auf diesem Gebiet der fleischlichen Liebe, war es normal, dass es ihnen nicht auf Anhieb gelang, den Eindruck zu erwecken, füreinander gemacht zu sein. So kam es, dass Macmann mit aller Kraft versuchte, sein Geschlecht, wie ein Kissen in einen Bezug, in das seiner Partnerin zu stecken, indem er es doppelt nahm und mit seinen Fingern hineinzwängte. Aber anstatt den Mut zu verlieren, fanden sie Gefallen am Spiel, und es gelang ihnen schließlich, trotz beiderseitiger absoluter Impotenz, ihren trockenen und schlappen Umarmungen eine Art trüber Wollust zu entlocken, unter Aufbietung aller Hilfsmittel der Haut, der Schleimhäute und der Einbildungskraft, so dass Moll, die am meisten von beiden aus sich herausging (zu jener Zeit), ausrief, Hätten wir uns doch vor sechzig Jahren getroffen! Aber wieviel Umschweife, Ängste und scheue Berührungen, bis sie soweit waren!

Und in L'Innomable, ,Der Namenlose': „Das obszöne Vorstehen der Zunge. Die Anschwellung des Penis. Sieh mal an, der Penis, ich hatte nicht mehr an ihn gedacht. Wie schade, dass ich keine Arme mehr habe, da wäre vielleicht noch etwas herauszuholen. Nein, es ist besser so. In meinem Alter wieder mit der Masturbation zu beginnen, wäre unanständig. Und es würde auch nichts dabei herauskommen. Aber, was weiß ich eigentlich davon? Kraft rhythmischer Züge bei stärkster Konzentration auf einen Pferdehintern in dem Moment, in dem sich der Schwanz hebt, wer weiß, da würde ich vielleicht eine Kleinigkeit erreichen. Himmel, man möchte meinen, dass er sich rührt! Soll es heißen, dass man mich nicht verschnitten hat? Und doch kam es mir so vor, als ob man mich verschnitten hätte. Ich verwechsele ihn vielleicht mit anderen Säcken. Er regt sich übrigens nicht mehr. Ich werde mich von neuem konzentrieren. Ein Percheronpferd.“

Nun also, wie würde sich dergleichen bei einer weiblichen Autorin anhören? Eine Schriftstellerin, die sich ihrer ,Obszönitäten' so wenig geniert wie Beckett, scheint Charlotte Roche. Da bei der Frau beim vaginalen Geschlechtsverkehr der Orgasmus ohnehin fraglich ist, fällt ein Vergleich wie mit ,besser' etc. von Hause aus flach. Zustande kommt die weibliche Klimax nur durch die Stimulation der Klitoris, indem die Frau mit zwei, manchmal drei geschlossenen Fingern, Zeige-, Mittel-, Ringfinger, daran reibt und scheuert – nahe dem Höhepunkt mit fliegender Hand gleichsam flirrend darüber hinweg fegt.

Daher: „Wie immer es also auch sei, beim Vaginalverkehr“, würde es heißen müssen, „richtig gut ist man sowieso erst unter den eigenen Fingern dran!“ Drei gegen eins. Eine ketzerische Bemerkung wie diese aber findet sich nicht mal bei einer sonst so unerschrockenen Autorin wie Charlotte Roche!

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