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Nun aber, ist das schon beim sogenannten ,schwachen' Geschlecht so – das bekanntlich so schwach gar nicht ist –, wieso sollte es dann, immer im Licht des Symmetrie- und Paritätsarguments, beim ,starken' eigentlich anders sein?
Auch der Mann hat ja, auch wenn der Hotspot seiner Lust für gewöhnlich auf dem Penis liegt, aufs Haar genau die gleichen Möglichkeiten hedonistischer Selbstbefriedigung – und macht bekanntlich reichlich Gebrauch davon –, so dass die phallische Lokalisation seiner Lust auch bei der Begattung sich vielleicht nur einer entwicklungsgeschichtlichen, evolutionsbiologischen Zufälligkeit verdankt.
Entsteht da nicht ein naheliegender Verdacht? Dient nämlich schon beim Weibe das zentrale Organ der Lust – die Klitoris – offensichtlich nicht primär der biologischen Fortpflanzung und Erhaltung der Art, sondern stattdessen zuerst und vor allem ihrer hedonistischen Selbstbefriedigung, – und gilt dasselbe womöglich auch für das männliche Pendant, – scheint dann die Schlussfolgerung nicht unausweichlich, dass der ursprüngliche Sinn und Zweck der allgemein menschlichen Geschlechtslust gar nicht die biologische Fortpflanzung und Erhaltung der Art ist, sondern hauptsächlich – – die sexuelle Selbstbefriedigung?
Ist das unverkennbar nämlich schon bei den Frauen so, warum dann sollte es bei den Machos grundsätzlich anders sein?
Auch bei diesen entstand so gesehen der hochempfindliche Hotspot des Penis direkt unterhalb des Eichelbändchens ursprünglich als eigenständige Quelle individueller Lust – und wäre in der Folge eher zufälliger-, pragmatischer- und ökonomischerweise mit der Fortpflanzungsfunktion assoziiert und unter einen Hut gebracht worden … –
Ist da zu übersehen, worauf das hinausläuft? Das ist eine totale Umkehrung des Verständnisses der Fortpflanzung und Erhaltung der Art einerseits – und der Sexuallust anderseits: Nicht so ist es dann, dass die menschliche Sexuallust primär der Fortpflanzung und Erhaltung der Art und erst dann akzidentiell und akzessorisch auch der Selbstbefriedigung des Individuums dient; – sondern so, dass die menschliche Sexuallust primär der Selbstbefriedigung des Individuums dient – und erst akzessorisch der Fortpflanzung und Erhaltung der Art!
Dies katalysiert eine genetisch ganz allgemeingültige anthropologische Erkenntnis: Die menschliche Sexuallust ist, unabhängig von jedem Geschlecht, insofern gar keine ,Sexual'-lust in dem Sinn, als sie ursprünglich primär mit der geschlechtlichen Fortpflanzung assoziiert war oder auch nur mit ihr in Verbindung gebracht werden muss. Das biologisch bedingte ,libidinöse' Verlangen scheint vielmehr eine organismische Funktion, die den Menschen beiderlei Geschlechts von der Natur als Quelle der Lust in Gestalt individual-hedonistischer – nicht unbedingt reproduktionstechnisch ,sexueller' – Selbstbefriedigung zur Verfügung gestellt wurde, – eine Funktion, die sie de facto denn auch seit Äonen auch zu allgemeiner Genüge erfüllt.
In einem Wort: Die Menschen sind von Natur aus allesamt prädisponierte, prädeterminierte Selbsterreger und -bespaßer, und jeder Versuch, das zu leugnen, wäre eine unrealistische Verkennung der Dinge. Und auch jeder Abwehrkampf des Einzelnen dagegen wäre so widersinnig und grotesk wie der Kampf Don Quijotes gegen die Windmühlenflügel.
Das aber wirft alle landläufig gängigen Vorstellungen über die Bedeutung und Rolle der ,sexuellen' Selbstbefriedigung über den Haufen (– und der entscheidende Hinweis darauf war und ist die Konzentration der weiblichen Sexuallust auf die Klit)! Und stellt mithin erst den eigentlichen Sachverhalt vom Kopf auf die Beine: Die sexuelle Selbstbefriedigung ist nicht, als was sie gemeinhin empfunden und hingestellt wird, eine Verirrung der menschlichen, vermeintlich ursprünglich für den zwischengeschlechtlichen Verkehr bestimmten Sexualität. („Was für Verirrungen mit Mädchen trotz aller Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Grauhaarigkeit, Verzweiflung“, heißt es im Tagebuch des 32-jährigen Franz Kafka am 2. Juni 1916. „Ich zähle: es sind seit dem Sommer mindestens sechs. Ich kann nicht widerstehn, es reißt mir förmlich die Zunge aus dem Mund, wenn ich nicht nachgebe, eine Bewunderungswürdige zu bewundern und bis zur Erschöpfung der Bewunderung zu lieben.“) Der Ipsismus ist vielmehr deren ursprünglicher, dann beiläufig evolutionär auch zwischengeschlechtlich fruchtbar gemachter biologischer Zweck! Die sogenannte ,Geschlechtslust' dient primär der einzelmenschlich ipsistischen, en passant dann erst sekundär – da aber vor allem männlicherseits – auch der dem intersexuellen Verkehr verfügbar gemachten libidinösen Lust der Sterblichen!
War vielleicht der wissenschaftlichen Psychologie und Anthropologie das immer schon bewusst? Dafür sprechen einige Quellen: „Wir müssen unsere Ansichten über die Onanie“, so Wilhelm Stekel in den ,Diskussionen der Wiener psychoanalytischen Vereinigung' 1912, „gründlich ändern. Alle Menschen onanieren. Von dieser Regel gibt es keine Ausnahme. Diese Phantasien machen die Onanie dem Individuum, das sich an sie gewöhnt hat, unentbehrlich. Sie können in den seltensten Fällen von der Wirklichkeit erreicht und durch eine nur einigermaßen befriedigende Realität abgelöst werden. So wird die Onanie zur einzigen adäquaten Form der Befriedigung für viele Menschen.“
So Stekel 1912 – ein Erkenntnisstand der wissenschaftlichen Psychologie und Anthropologie, der allgemein bis heute noch nicht durchgedrungen scheint!
Jene Phantasien, die nur ,in den seltensten Fällen von der Wirklichkeit erreicht' werden, müssen aber gar nicht, sofern sie authentisch der Selbstbefriedigung dienen und der Person Genüge tun, ,von der Wirklichkeit erreicht und durch eine nur einigermaßen befriedigende Realität abgelöst werden' können. Sie brauchen, da sie in der Lust sich subjektiv selbst genügen, auch erst gar nicht objektiv durch eine nur einigermaßen befriedigende Realität abgelöst werden. Sie sind die von Natur aus ursprünglichste Quelle der sinnlichen Befriedigung des Menschen; und es wäre ein grundsätzlicher Menschheitsirrtum, – und eine angesichts jahrhundertealter diesbezüglicher Repressionen eine ausgemachte Kulturschande ist es, zugunsten irgendwelcher moralinsauren ideologischen Ziele die Onanie in Misskredit zu bringen oder gar – wie der römische Papst – verteufeln zu wollen.
Mit Martin Walsers ,liebendem Mann', Goethe: Dass das Teil in der Sprache, in der das Leben doch erst zu sich selber kommt, nicht erscheinen darf, es sei denn lateinisch oder verballhornt, ist eine Schande. Sag ruhig: eine Kulturschande. Zu deren Überwindung hast du nichts getan.
Das soll man uns nicht vorwerfen können!
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