Blog 26
Was nämlich folgt psychologisch und anthropologisch aus dem fehlenden vaginalen Orgasmus?
Würde ein Mann nach dem Liebesakt nicht immer gern zu hören kriegen, dass er den gleichen Sexualgenuss, den er dabei hatte – soweit er ihn hatte –, auch seiner Partnerin verschafft hat? Wie in dem alten Sketch aus Saturday Night Live, in dem in einer postkoitalen Unterhaltung mit Gilda Radner Chevy Chase sich als nervöser Liebhaber sorgt, dass sie keinen Orgasmus gehabt haben könnte – und sie ihn mit den Worten beruhigt: ,Manchmal habe ich einen, sogar ohne es zu merken.'
Es ist glasklar, was daraus folgt: Die Frau muss ihm zu Gefallen lügen, dass sie einen Orgasmus hatte; denn sagt sie ihm die Wahrheit: dass sie de facto keinen hatte – ja, dass sie weit davon entfernt war, einen zu haben –, dann ist er eingeschnappt, frustriert und eine beleidigte Leberwurst! Das passt wiederum genau zu Nathalie Weidenfelds Erfahrungsaustausch mit der tz-Kolumnistin Maria Zsolnay vom 9. Oktober 2015 über die ,Unwägbarkeiten des Familienlebens': „Ich würde sagen, Sex und Kinder sind die beiden Themen, bei denen die Frauen am meisten lügen.“
Leider sagt sie nicht klipp und klar, worin genau die Frauen beim Thema Sex eigentlich lügen?
Worin aber schon sollten sie so zwanghaft lügen, – wenn nicht eben in der Behauptung, dass sie beim Geschlechtsverkehr, ehelich oder außerehelich, einen Orgasmus haben, während sie in Wahrheit doch keinen haben? Es gibt ja wohl kaum einen anderen Grund, warum sie beim Thema Sex so kleptomanisch lügen sollten. (Dabei halten wir von Lügen aber so wenig wie Heinrich Heine: ,Ich liebte immer die Wahrheit und verabscheute die Lüge.' Sowie: ,wir wissen auch, dass ein Glück, das wir der Lüge verdanken, kein wahres Glück ist'.)
Wie also sollte es einen glücklichen zwischengeschlechtlichen Sex geben, wenn der Genuss der Frau dabei auf bloßer Einbildung beruht?
Lieber wäre es uns, auch die Frauen wären ehrlich und gäben wie alle Welt nach dem Schibboleth und Mantra der Beat generation freimütig zu: ,I can't get no satisfaction'. Genauer: I can't get no satisfaction by coitus!
Beziehungsweise, sie erklärten klipp und klar, wie sie dann eigentlich zu ihrem Orgasmus kommen, – der ihnen ja offenbar aus dem Effeff bekannt ist!
Sie brauchen es aber gar nicht erst noch zu erklären, denn sie zeigen es lang und breit beim Internetsex: nicht anders als durch Masturbation. Wie Nathalie Weidenfelds ,Orangenprinzessin' es würde bestätigen können: „Ich sehe Farben. Rot. Schwarz. Dann ist alles vorbei. Unter zerwühlten Laken liegen meine aufgelösten Träume, verschwitzt zwischen meinen Schenkeln“!
Wie aber? Heißt es sprichwörtlich geradezu nicht, die sexuelle Selbstbefriedigung sei, gleichviel auf welcher Seite, bei ihm oder bei ihr, ein ,Diebstahl an der Liebe'? (Es sei denn vielleicht, der Mann masturbiert, wie in Frank Schätzings Roman ,Limit', in Gedanken an die eigene Frau: „Vielleicht lag es an Ambers Art, ihn zu trösten, nachdem er sich bei ihr über Julians Ignoranz ausgeheult hatte, dass ihr Zuspruch auch den physischen Tim erquickte, ihre Küsse, die Spannkraft ihrer Umarmung, ihre federnde, im Sportstudio kultivierte Elastizität; vielleicht, weil seine Fantasien nach so vielen Jahren ehelichen Alltags immer noch ausschließlich um seine Frau kreisten, sodass er keinen anderen Hintern liebkosen und seine Hand in kein anderes Delta gleiten lassen wollte als das ihre, was ihn für Seitensprünge in etwa so sehr qualifizierte wie eine Dampflok zum Verlassen der Gleise, und weil er sich auch in den einsamen Momenten der Selbstbespaßung niemand anderen vorstellen mochte als Amber; vielleicht, weil der goldene Schnitt ihrer Erscheinung durch kein hinzugekommenes Jahr ins Unvorteilhafte gesetzt worden war – ein Hoch auf die Gene! – und ihre Brüste im Auftrieb der Schwerelosigkeit zu jenem legendenträchtigen Stand zurückfanden, der ihn zu Anfang ihrer Beziehung glauben gemacht hatte, reife Melonen zu umklammern: vielleicht auch, weil er beim Versuch, die Verschlüsse ihres Bademantels auseinanderzufummeln, in die entgegengesetzte Ecke des Moduls getragen wurde, was ihn nur umso mehr erregte, da sie lachend in den Schwingen des geöffneten Mantels hing wie ein zum Sündenfall bereiter Engel – was immer der Grund sein mochte, jedenfalls reagierte sein Körper allen Widrigkeiten der Schwerelosigkeit zum Trotz, als da waren Blutunterversorgung des Lendenbereichs, Desorientierung und leichte Übelkeit, mit einer wahren Mondrakete von Ständer.“
À la bonne heure, seine schwerelosen Fantasien nach so vielen Ehejahren immer noch primär um seine eigene Frau kreisen zu lassen!)
Die sexuelle Selbstbefriedigung ein ,Diebstahl an der Liebe'? Hat die Frau aber sowieso nicht viel vom Koitus – es sei denn, sie wünscht sich gerade ein Kind –, wie kann ihr dann durch dessen Ermangelung überhaupt etwas gestohlen werden?
So kann ihr der Koitus, wenn sie sowieso nichts davon hat, buchstäblich gleich gestohlen bleiben, da zieht sie die Diebeshand dem Besitzstand vor! (Und hätte auch, gesetztenfalls, der Mann vom Koitus weniger als von seiner Selbstbefriedigung, dann könnte er auch ihm gestohlen bleiben. Es ist ein Gut, auf dessen Besitz man vorzugsweise lieber verzichtet. Das zeigt die Fragwürdigkeit manch gängigen Sprichworts.
Dies ganz abgesehen davon, dass durch die gewohnte eheliche Liebe der sexuelle Appetit sowieso abgestumpft wird: woher sonst, dass so viele, die sich lieben, kaum mehr in ,dummer Leiberquälerei' (Heine) miteinander schlafen? Woher sonst die exorbitante Scheidungsrate von 40 bis 60 Prozent in der westlichen Welt? Für manch einen verwöhnten Zeitgenossen scheint das gar ein Grund, eines Sexualpartners überhaupt zu entraten: Mit einer Frau schlafen? sagt er sich: ich bin doch nicht dumm, das hieße ja, auf die Lust verzichten!)
Stimmt es also mit dem fehlenden vaginalen Orgasmus, stehen die Männer in der Geschichte offenbar ziemlich dumm da. Aber nicht nur wir Männer, sondern überhaupt der Mensch in seiner Geschichte. Denn das liefe ja auf nichts anderes hinaus, als dass beide Geschlechter hinsichtlich ihrer sexuellen Befriedigung grundsätzlich ,nicht zueinander passen'.
Das aber hieße, dass sie um ihrer letztlich größtmöglichen Sexuallust willen sich jeweils überhaupt nur noch selbst befriedigen dürften: Will die Frau libidinöse Wollust, erreicht sie das nur durch klitoridale Stimulation; das aber kann sie, ohne dass der Liebhaber betulich interveniert, selber am besten. Will der Mann sexuelle Befriedigung, kann er das mehr oder minder durch den Koitus; hält aber der Koitus Karl Kraus zufolge nicht, was die Onanie verspricht, wäre auch er durch die Masturbation besser beraten.
Worein mündet diese Logik? Eine intelligente und aufrichtige Frau weiß das alles natürlich auch. Sie weiß, sofern sie sich's bloß eingesteht, nicht nur, dass der Mann ihr nicht die wahre Lust geben kann, wie sie sie selber aus ihrer Selbstbefriedigung zieht. Sie weiß, mit Recht von sich auf andere schließend, aber geradeso gut, dass sie auch ihm nicht die wahre Lust geben kann, wie er sie selber aus seiner Selbstbefriedigung zieht. („Dankbarkeit gegen K.“, notiert der 45-jährige Thomas Mann im Tagebuch vom 17. Oktober 1920 zu seiner Frau Katja, „weil es sie in ihrer Liebe nicht im Geringsten beirrt oder verstimmt, wenn sie mir schließlich keine Lust einflößt und wenn das Liegen bei ihr mich nicht in den Stand setzt, ihr Lust, d. h. die letzte Geschlechtslust zu bereiten.“)
Die symmetrische Situation wird dadurch noch verkompliziert, dass eine intelligente und ehrliche Frau auch weiß, dass auch der Mann das weiß, und ebenso weiß, dass der Mann auch weiß, dass sie es weiß. Müssen sich da am Ende nicht beide so hoffnungslos verkrampfen, dass sie auf überhaupt kein gemeinsames sexuelles Quivive mehr kommen?
Wie wird die Frau sich in dem heillosen Durcheinander verhalten?
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