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„Von verschiedenen Gynäkologen und Sexualforschern“, so Ernst Pöppel weiter, „ist geprüft worden, ob bestimmte Frauen bestimmte sexuelle Präferenzen haben, wobei sich aber offenbar kein einheitliches persönlichkeitsspezifisches Muster finden ließ. Allerdings scheint es so, und das wäre eine kleine Einschränkung, dass ängstliche Frauen einem vaginalen Orgasmus den Vorzug geben.“ Leider sagt uns der Forscher nicht auch, wie diese vaginalen Orgasmen dann eigentlich zustande kommen – mit oder ohne männliche Beteiligung? Und was eigentlich hindert diese ängstlichen Frauen, sich klitoridal zu befriedigen? Haben sie Angst, dabei zu sehr auf den Geschmack zu kommen?
„Ansonsten scheint die Präferenz der sexuellen Befriedigung hauptsächlich wohl durch individuelle Erfahrung und Lernen geprägt zu werden.“ Dabei seien, neben den Entsprechungen der physiologischen Veränderungen beim Sex aber auch diverse Unterschiede zwischen Mann und Frau beim Orgasmus zu konstatieren. Zum Beispiel: „Im äußeren Drittel der Vagina bildet sich eine sogenannte ,orgastische Manschette'.“
„Der Orgasmus einer Frau“, erklärt Wiki, „ist begleitet von rhythmischen Muskelkontraktionen (Muskeln im unteren Scheidendrittel der Vagina, der Gebärmutter und der Analregion), insbesondere der Beckenbodenmuskeln entlang der ,orgastischen Manschette'. Dieser Begriff bezeichnet eine venöse Stauung (Kongestion der Schwellkörpersysteme, d.h. perivaginale Schwellkörper) im äußeren Drittel der Vagina, d.h. im Bereich des Scheideneingangs (Introitus vaginae), die sich mit zunehmender sexueller Erregung ausbildet. Ein durchschnittlicher Orgasmus besteht aus etwa 5, ein intensiver Orgasmus aus 10 bis 15 Kontraktionen.“
Laut Netz besteht diese orgastische Manschette genauer in der „Verengung der distalen 2/3 der Vagina und der Labia minora, die durch ein Anschwellen der lokalen Venen verursacht wird. Beim weiblichen Orgasmus soll es zu rhythmischen Kontraktion der orgastischen Manschette kommen. Der Blutfluss der Vagina und der Klitoris sowie die Muskulatur der Vaginalwand werden durch den Plexus uterovaginalis gesteuert. In ihn strahlen parasympathische Fasern der Nervi splanchnici pelvici (S2 bis S4), die vom Erektionszentrum ausgehen, und sympathische Fasern aus dem lumbalen Rückenmark (L2-L3) ein. Das Erektionszentrum kann durch die mechanische Stimulation erogener Zonen, aber auch durch supraspinale Zentren im Gehirn (visuelle Reize, gedankliche Vorstellungskraft) erregt werden.“
Und, so Pöppel: „Während beim Mann der Orgasmus durch ein sich stets ähnlich bleibendes Muster körperlicher Veränderungen gekennzeichnet ist, haben Masters und Johnson bei Frauen eine sehr viel größere Variabilität beobachtet. Das Standard-Geschehen beim Mann ist durch die eintretende Ejakulation gekennzeichnet, wobei nach drei bis vier austreibenden Kontraktionen Intensivität und Frequenz dieser als Lust-Erlebnis empfundenen Kontraktionen sehr schnell abnehmen. Bei der Frau treten im Orgasmus von vornherein mehr Kontraktionen der orgastischen Manschette auf, und der Orgasmus kann gelegentlich auch erheblich länger andauern. Manchmal ergibt sich sogar ein Zustand, den man als ,status orgasticus' bezeichnet und der bis zu einer Minute anhalten kann. Dabei scheint erwiesen zu sein, dass den Kontraktionen der orgastischen Manschette das subjektive Erleben des Orgasmus entspricht.“
Scheint erwiesen zu sein? Ist dabei ausgeschlossen, dass eine Frau, auch ohne einen Orgasmus zu haben, die Kontraktionen der orgastischen Manschette auch willentlich herbeiführen kann – wodurch sie den Orgasmus wieder nur simuliert?
Dabei zeige es sich ausgehend von Beschreibungen des Erlebnisses selbst, dass „es ja schon seit langem die vor allem auch von Sigmund Freud hervorgehobene zwei Erlebnisformen des Orgasmus bei Frauen gibt, die sich physiologisch nur nicht so einfach unterscheiden lassen. Es handelt sich um den vaginalen und um den klitoridalen Orgasmus, die beide von Frauen erlebnismäßig offenbar klar unterschieden werden. Ein Orgasmus nach Klitoris-Reizung wird als sehr intensiv, kurz anhaltend, schnell ansteigend und schnell abfallend beschrieben. Der klitoridale Orgasmus tritt bevorzugt bei Selbstreizung auf, und da er häufig intensiver als der vaginale Orgasmus erlebt wird, bevorzugen manche Frauen die Masturbation zur Befriedigung der sexuellen Lust.
Im Gegensatz zum klitoridalen Orgasmus kommt der vaginale Orgasmus hauptsächlich beim Koitus vor. Der vaginale (oder auch koitale) Orgasmus wird als langsamer ansteigend beschrieben. Er wird nicht wie der Orgasmus nach Klitoris-Reizung durch einen scharf markierten Zeitpunkt erlebt. Er scheint auch länger anzuhalten und hinterlässt ein tieferes Gefühl der Befriedigung.“
Das alles hört sich reichlich fadenscheinig an. Wir können nicht umhin, zwischen den Zeilen zu lesen und es in Klartext zu übersetzen: Der vaginale und klitoridale Orgasmus ließen sich physiologisch ,nicht so einfach unterscheiden', würden ,beide von Frauen erlebnismäßig aber offenbar klar unterschieden'? Und das, nachdem die meisten Frauen dem Vernehmen nach überhaupt keinen vaginalen Orgasmus kennen? ,Ein Orgasmus nach Klitoris-Reizung wird als sehr intensiv, kurz anhaltend, schnell ansteigend und schnell abfallend beschrieben' – als wäre die blitzartige Entladung des elektrochemischen Feldes der Lust mit dem hormonellen Release nicht überhaupt das Charakteristische am Orgasmus als solchem und alles andere nur ein Talmiorgasmus?
„Der vor allem bei Selbstreizung auftretende klitoridale Orgasmus wird häufig intensiver als der vaginale Orgasmus erlebt, und daher von manchen Frauen die Masturbation zur Befriedigung der sexuellen Lust bevorzugt“ – wie wenn der klitoridale Orgasmus nur ,häufig' und nicht ausnahmslos immer intensiver als der vaginale Orgasmus wäre und eine Frau, die einmal durch das intensivere Erleben konditioniert ist, naturgemäß nicht immer die Masturbation vorziehen würde?
So schon der klassische Analyst Eduard Hitschmann in Bezug auf die Klitorissexualität: „Dazu kommt, dass die Onanie die Frau einerseits in der Phantasiewahl ihres Objekts, andererseits vielleicht in Art, Rhythmus und Dauer des Befriedigungsaktes verwöhnt hat“!
Der vaginale Orgasmus käme hauptsächlich beim Koitus vor, scheine auch länger anzuhalten und hinterlasse ein tieferes Gefühl der Befriedigung? – dies im offenen Widerspruch dazu, dass der „klitoridale Orgasmus häufig intensiver als der vaginale Orgasmus erlebt und daher von manchen Frauen die Masturbation zur Befriedigung der sexuellen Lust bevorzugt“ werde? Wie anders sonst erklärte sich der von Hitschmann bei den Frauen bemerkte auffällige „Zwang, den unbefriedigenden Koitus durch Selbstbefriedigung zur Vollendung zu bringen“? So beruht das von Pöppel zitierte tiefere Gefühl der Befriedigung der Frau wohl gar nicht auf einem koitalen Orgasmus, den sie nicht hatte, und ist auch gar kein im eigentlichen Sinn sexuelles, als vielmehr rein psychisches Gefühl insofern, als ihr der Koitus lediglich als Liebesbeweis des Mannes gilt.
Am Ende also läuft es auch bei Pöppel wieder auf die weibliche Selbstbefriedigung hinaus: Wann immer eine Frau, und das so gut wie ausschließlich in der Masturbation, „ihre orgastischen Möglichkeiten entdeckt“, folgert er, „erschließt sich ihr damit eine neue Erlebnis-Dimension. Die damit verbundene Lust wird dazu führen, dieses Erlebnis wiederholen zu wollen. Auch wenn der Orgasmus vielleicht zunächst kein unmittelbares Bedürfnis war, wird aus dem damit möglichen Lustgewinn ein Bedürfnis entwickelt.“
Ein Bedürfnis entwickelt? Dann aber sicher nicht sowohl nach dem vaginalen, als vielmehr zweifellos nach dem klitoridalen Orgasmus? Müssen wir somit nicht schließen, dass wenn es um die vaginale Lust geht, nicht nur, nach Simone de Beauvoirs Befinden, die Frau sich über diesen Punkt selten ausspricht – und „selbst wenn sie genau sein will, sie außerordentlich vage bleibt“ –, sondern dass das sogar noch für die tabulose postviktorianische Wissenschaft selber gilt!
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