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  • freudholdriesenhar

Ist der Sex eine weibliche Dienstleistung?

Blog 58


Besonders die Frauen scheinen, gegenüber ihrer Selbstbefriedigung, in Seladons Armen eher an Lust zu verlieren als zu gewinnen, so dass sie ihn mehr aus Großmut um des Geliebten willen als um ihrer selbst willen daran teilhaben lassen. Der Sex scheint mehr ein Gefallen, den die Frauen den Männern tun, als dass sie selbst welchen daran fänden!

Tatsächlich bestätigt die Überlegung den Eindruck angesichts der gesellschaftlichen Attitüde auch sonst: Das sexuelle Vergnügen der Geschlechter beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Die libidinöse Befriedigung scheint vielmehr, statt irgend symmetrisch zu sein, eine einseitige Dienstleistung der Frau gegenüber dem Mann. Die Frau erscheint gleichwie eine Bedürfnisanstalt, die der Abfuhr der sexuellen männlichen Notdurft dient. „Viele Männer kümmern sich gar nicht darum“, bemerkt Simone de Beauvoir in ,Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau', „ob die Frau, die ihr Bett teilt, den Coïtus wünscht oder ihn nur über sich ergehen lässt. Man kann sogar eine Tote beschlafen … Seit den primitiven Zivilisationen bis auf unsere Tage hat man es immer so verstanden, dass das Bett für die Frau ein ,Dienst' ist, für den sich der Mann durch Geschenke und durch die Sicherung ihres Unterhalts erkenntlich zeigt … Die Römer nannten Messalina ,invicta', die Unbesiegte, weil keiner ihrer Liebhaber ihr zur Lust verholfen hatte.“

Entweder also Messalina war sexuell exzeptionell schwer zu befriedigen, oder aber sie war für ihr Geschlecht durchaus repräsentativ und – lediglich ehrlich!

Unterhalt gegen Unterleib? Die simple Beobachtung zeigt, dass es, entgegen einem weitverbreiteten Glauben, eigentlich gar nicht der Sexualgenuss ist, was ein Geschlecht in die Arme des anderen treibt – jedenfalls nicht die Frauen in die der Männer – und aneinander bindet: Ginge es hauptsächlich um die Fleischeslust, so bliebe das andere Geschlecht wohl besser ipsistisch für sich. Und das andere womöglich nicht minder.

Nicht um ihrer ultimativen Lust willen haben Mann und Frau miteinander Sex; sondern verzichten wohl eher, indem sie Sex miteinander haben, auf ihre ultimative Lust.

Worum aber geht es dann?

Um die Liebe? Um ihrer Liebe willen verzichten Mann und Frau im Beischlaf auf ihre intimsten Hedonismus. Der Koitus scheint mehr ein Akt der Liebe als ein solcher der Lust!

Und doch ist es nicht zuletzt die ursprüngliche Aussicht auf Sex – der libidinöse Wahn –, was den Hans zur Grete treibt.

„Wenn der Hans die Grete küsst“, so nämlich der Danziger Psychologe Semi Meyer in seinem Werk ,Probleme der Entwicklung des Geistes' von 1913, „macht ihm das Vergnügen. Wie er dazu kommt, diese Annehmlichkeit zu suchen, aber ist eines der schwierigsten Probleme der Geistesentwicklung: Wenn es den Hans schon treibt, wenn er innerlich unruhig ist, – woher weiß er, dass er bei der Grete Ruhe findet? Er hat ja kein Wissen von dem, was er dort findet, wenn er noch gar nicht bei der Grete war und selbige Ruhe fand“!

Eines der schwierigsten Probleme der Geistesentwicklung, jawohl! Hätte er nicht den ,Wahn', dann auch keinen Grund, sie zu lieben? Ist es vielleicht so, dass der Hans die Lust seiner pubertären Onanie auf die Grete projiziert und dann meint, dieselben Ekstasen, oder noch mehr davon, fände er auch in ihrem Schoß? Dieser Wahn scheint wie eine Krücke, die der Lahme braucht, um gehen zu lernen, – die er aber dann, sobald er es gelernt hat, hinter sich wirft; oder wie die Leiter, mit der wir das Plateau der Liebe erklimmen und die wir dann unter uns wegwerfen; oder wie due Unbekannte X, deren wir uns nur so lange bedienen, bis die Gleichung gelöst ist, und uns dann wieder entledigen; oder wie das Dunkel des Tunnels, durch den wir müssen, um ans Licht zu kommen.

Dieses Licht ist die Liebe, und diese Liebe ist das Leben. So wenigstens Heine: Verfehlte Liebe, verfehltes Leben.

So ist der klassische Romantiker am Ende gerade so weit wie jeder x-beliebige Hans Dampf, der innerlich unruhig ist, den es umtreibt, bevor er bei der Grete Ruhe findet; und landet bei der nüchternen Erkenntnis, die man seit Olims Zeiten von jeder Kirchenkanzel herab hören kann: dass der Sinn der Ehe nicht der Sex, sondern die Gattenliebe inklusive der Fortpflanzung ist. Und für diese triviale Erkenntnis hat mancher, nach Gottfried Benns Wort, persönlich sein Lebtag lang „sämtliche irdischen und überirdischen Dämonen an allen ihm zur Verfügung stehenden Drüsenfeldern und Ausführungsgängen mit Hexenmilch gelabt, und will nun zum Schluss seinen Zwieback noch einmal in der Laube vespern? – das scheint mir weniger eine Weisheit als Ermüdung und ein Gähnen.“

Aber zumindest dieser Selbstlosigkeit der Frau beim Liebesakt könnte der Partner sich ebenbürtig zeigen. Und erst wenn ihr erogenes Schwellkörpergewebe sich ihm so angefüllt und aufgepumpt wie pralle Fischblasen entgegenwölbt – oder wenn es nach ihrem verzückten Kommen schon wieder am Abflauen ist –, – erst dann sollte sein bersten wollender Unhold sich in sie zwängen wie in einen Cumulus aufgeblasener Ballons und es ihr mit kräftigen Stößen weiter besorgen.

Selbst dann aber noch muss er im Radar der Lust mit ihr in Verbindung bleiben, damit sie ihm koordiniert entgegenarbeiten und ihm mitteilen kann, wann es so weit ist, wann es ihr kommt und sie – wie in García Márquez' Roman – „in dem unbegreiflichen Genuss jenes unerträglichen Schmerzes das Bewusstsein verliert, während sie in dem dampfenden Sumpf der Hängematte plantscht, welche die Explosion ihres Blutes wie Löschpapier verschluckt...“

Dann erst wäre es auch ihm erlaubt, sich gehen zu lassen. Dann darf er ganz ungehalten und rückhaltlos rammeln, bis er in all seinem Schall und Wahn sich in sie verströmt … –

Jawohl, Messieurs, das alles müsste der annähernd 40-jährige Henri meines Romans eigentlich wissen. Statt dessen gebraucht er nicht mal seine Finger, geschweige denn Mund und Zunge, um seine junge Frau zu befriedigen, sondern dringt irgendwann wie ein losgelassener Pavian mit seinem Ding in sie ein, um sich sein zweifelhaftes Genüge zu verschaffen. Und erfährt so wie jeder Verliebte nach dem endlich erlangten Genuss jene von Schopenhauer besagte wundersame Enttäuschung und ein Erstaunen, „dass das so sehnsuchtsvoll Begehrte nichts mehr leistet als jede andere Geschlechtsbefriedigung: so dass er sich nicht sehr dadurch gefördert sieht … Wie jeder Verliebte findet er, nach endlicher Vollbringung des großen Werks, sich angeführt: denn der Wahn ist verschwunden, mittelst dessen hier das Individuum der Betrogene der Gattung war“?

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