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Um aber die Problematik auf die Spitze zu treiben: Das Beispiel einer Frau, die sich auf den Koitus als intersexuellen Geschlechtsakt gar nicht erst einlässt, ist die Italienerin Irene aus Alberto Moravias Roman ,Ich und er', der von der Regisseurin Doris Dörrie verfilmt wurde. Wie folgt.
Irene ist eine konsequent bekennende Onanistin, die sozusagen keinen Mann an sich ranlässt. Auch der in sie verliebte Signore Federico beißt, auf eine Ausnahme von der Regel hoffend, auf Granit. Es kommt zu der folgenden dialogischen Kontroverse:
Irene: Sagen wir also offen, ich masturbiere.
Federico: Du masturbierst?
Irene: Ja, ich masturbiere.
Federico: Hast du schon immer masturbiert?
Irene: Ja, schon immer.
Federico: Und das genügt dir?
Irene: Das genügt mir, weil ich dadurch mir selbst genüge.
Federico: Ist das ein Wortspiel?
Irene: Nein, es ist die Wahrheit.
Federico: Sollte die Wahrheit nicht zufälligerweise darin bestehen, dass du unfähig bist, zu lieben?
Irene: Die Masturbation ist, zumindest für mich, eine Art, zu lieben und geliebt zu werden – eine Art wie jede andere!
Federico: Wen zu lieben und von wem geliebt zu werden?
Irene: Mich selbst zu lieben und von mir selbst geliebt zu werden.
Wie sähe Federicos Liebesleben wohl aus, falls er sich von Irenens Narzissmus nicht abschrecken lassen und sie ihn wider Erwarten erhören und sich von ihm ehelichen lassen würde? Da sie wie fast jede Frau gern Kinder und ein Familienleben hätte, hat sie vielleicht gar nichts dagegen, sich von ihm schwängern zu lassen. Federico könnte sie nach Lust und Laune begatten und sich frisch, fromm, fröhlich, frei seines Samens in ihr entäußern.
Zumindest so lange, bis sie schwanger ist.
Dann aber dürfte er, da sie ja offenbar keine Männerliebe im eigentlichen Sinn hat, dem ehelichen Geschlechtsverkehr nichts abzugewinnen vermag und sich, was ihren – gleichwohl durchaus vorhandenen – libidinösen Trieb betrifft, als chronische Klitoromanin gewohnheitsmäßig selbst genügt, auf kein besonderes Entgegenkommen ihrerseits mehr hoffen. Sie mag eine leidenschaftliche und liebende Mutter sein – das schließt sich keineswegs aus –, dabei aber keinerlei besondere Gattenliebe oder sexuelle Rücksicht auf ,eheliche Pflichten' an den Tag legen.
Irene hat vielleicht, hormonell und mental gesehen, ein eher männliches Naturell; sie selber trägt einen Mann in sich und hat kein Verlangen nach einem solchen noch außerhalb ihrer selbst. Sie ist praktisch ein Mann mit einer Vagina zwischen den Beinen. (Umgekehrt mag Federico seinerseits vielleicht zu viele weibliche Hormone haben. Dann ist in ihrer Ehe das Verhältnis der Geschlechter regelrecht vertauscht.)
So gesehen wäre die ,Frigidität' der Frau im Allgemeinen keineswegs gleichbedeutend mit mangelnder Sinnlichkeit, sondern lediglich mit fehlender Männerliebe – ein bedeutsamer Unterschied. Sie hat sich möglicherweise mehr Zärtlichkeit von Federico erwartet; aber da sie keine Männerliebe und von sich aus fürs Schmusen nichts übrig hat, hält es in einer merkwürdigen Art Hemmung auch ihn davon ab. So mag sie nachgerade gefühlskalt und frigide scheinen – und zugleich doch eine leidenschaftliche Hedonistin oder Klitoromanin sein. Sie schließt von sich auf andere und meint, dass wenn sie sexuell am besten sich selbst genügt und die größte Lust aus der Masturbation zieht, dies auch für jeden anderen gelten müsse.
Sagen die Männer nicht selber, wie ,Molloy' aus Samuel Becketts gleichnamigem Roman, zwischen Daumen und Zeigefinger seien sie eh besser dran? Da sie davon ausgeht, dass auch Federico sich von Jugend an selbst befriedigt, und sie nicht wissen kann, wann er gerade seinen letzten Orgasmus hatte, bietet sie sich, um einer peinlichen Impotenz seinerseits zu entgehen, ihm niemals von sich aus an, sondern wartet langmütig seine Annäherungen ab. Ihre Ehe ist die Symbiose zweier Onanisten, und sollte er's noch nicht in dem Maße sein, wird er's durch sie werden. „Wir wissen beide“, wird sie ihm zu verstehen geben, „die Lust bei der Onanie ist größer als die beim Koitus. So lass uns erst gar keine zweideutigen Spielchen treiben, sondern gleich jeden für sich onanieren!“
Und Signore Federico darf nicht einmal dagegen rebellieren, da sie es ihm ja bereits vor der Ehe ehrlich verklickert hat. Sollte er dagegen auch weiterhin Verlangen nach ihrem Fleisch haben, sich in ihrem Schoß suhlen und sein Sperma ihrer Vagina einflößen wollen – andernfalls er sie ja kaum hätte zu heiraten brauchen –, wird sie sich ihm – bitte sehr, mein Herr, bedienen Sie sich! – aus Pflichtbewusstsein nicht verweigern. Sie wird sich ihm aber nicht – da sie auch mit seiner Selbstbefriedigung rechnet – von sich aus anbieten. Sie wird sein Spiel mitspielen, ohne ihm selbst ein besonderes Vergnügen abgewinnen zu können, da sie ja keinen vaginalen Orgasmus hat und zu aufrichtig ist, ihm und sich selbst etwas vorzumachen.
Zwar wird er, der ihre Präferenz kennt, seinerseits sein Möglichstes tun, sie durch klitorale Stimulation mit Cunnilingus, Pussylicking und -eating zum Orgasmus zu bringen, – muss aber bald erkennen, dass er mit ihrer einsamen Meisterschaft nicht mithalten kann. Er wird wie der Hase beim Wettlauf mit dem Igel erkennen, dass, wo er als Liebhaber ans Ziel kommen will, der Igel Masturbation längst angelangt ist. Er wird zum Don Quijote ihrer Lust und fühlt sich, wie wenn er gegen Windmühlen kämpfte. Federico hatte vielleicht die Illusion, dass sie unterm Einfluss seiner virilen Potenz sich mit der Zeit schon bekehren lassen und die Männerliebe noch lernen würde. Wie wird er reagieren, wenn er seinen falschen Irrtum einsieht? Wenn er sie wirklich liebt, wird er sich irgendwie arrangieren; wenn nicht, lässt er sich vielleicht wieder scheiden.
Bedenken wir aber, ,Ich und er' ist der Roman eines männlichen Autors. Frauen müssen nicht immer so ehrlich sein wie Irene. „Sex und Kinder sind die beiden Themen, bei denen die Frauen am meisten lügen“, sagt Nathalie Weidenfeld.
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