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Ist das aber schon bei den Frauen so – warum sollte es beim Mann grundsätzlich anders sein?
Kurz, auch bei ihm vielleicht dient die ursprüngliche organismische Lust gar nicht so sehr der Fortpflanzung und Erhaltung der Art, als mindestens ebenso sehr auch der subjektiven Selbststimulation: Die empfindlichsten Schleimhäute seiner erogenen Zone – des männlichen ,Kitzlers' – liegen auf der Unterseite des Penis direkt am frenulum glandis unterhalb der Eichel, wo sie manuell geradeso gereizt werden können wie die klitoridalen der Frau.
Dass dieses Glied zugleich auch als Organ der Fortpflanzung dient, wo es ebenso beim Geschlechtsverkehr durch die Reibung in der weiblichen Scheide gereizt wird, könnte geradeso gut auch eine akzidentielle und kontingente Einrichtung der Natur sein!
Letzteres ist eventuell bloß eine mehr oder minder zufällige Begleiterscheinung der evolutionären Ökonomie, die damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: Der vaginale Zeugungsvorgang macht ihm, im Unterschied zur Frau, zugleich auch noch Vergnügen!
Dadurch führte die ambivalente Identifikation der beiden Funktionen Lustgewinn und Fortpflanzung in ein und demselben Organ im Lauf der Entwicklung bis heute zu einem weitverbreiteten männlichen Vorurteil: dass die Frau beim Sex die gleiche Lust empfinden müsse wie er – ein naheliegender Dilettantismus und Pfuscherirrtum.
Die von Simone de Beauvoir beschworene ,erotische Autonomie' gilt offenbar ja nicht nur für die Frau. Auch der Mann hat, vermöge der ganz eigenständigen und koital-unabhängigen Reizbarkeit seines Genitals – wie immer es akzidentiell und beiläufig auch zur lustvollen Penetration des weiblichen Schoßes verwendet wird –, diese erotische Autonomie. Das bestätigt keiner deutlicher als, in seinem Gedicht Synthese, der ,Selbsterreger' Gottfried Benn: „Auch was sich noch der Frau gewährt, / Ist dunkle süße Onanie“, heißt es da, so als wollte er ihr mehr gar nicht mehr gewähren:
Schweigende Nacht. Schweigendes Haus.
Ich aber bin der stillsten Sterne;
Ich treibe auch mein eignes Licht
Noch in die eigne Nacht hinaus.
Ich bin gehirnlich heimgekehrt
Aus Höhlen, Himmeln, Dreck und Vieh.
Auch was sich noch der Frau gewährt,
Ist dunkle süße Onanie.
Ich wälze Welt. Ich röchle Raub. Und nächtens nackte ich im Glück: Es ringt kein Tod, es stinkt kein Staub Mich, Ich-begriff, zur Welt zurück.
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