Blog 85
In krasser Verdrehung realer Verhältnisse wird es an manchen Stammtischen immer noch so hingestellt, als tue umgekehrt der Mann der Frau einen Gefallen, wenn er sie vögelt; etwa so in der Art von ,der müsste man es wieder einmal besorgen' oder ,die gehört mal wieder gründlich durchgezogen' oder ,der gehört mal wieder gründlich der Kamin gekehrt' oder ,der gehört mal wieder gründlich die Röhre geputzt'.
Ein polnischer Witz klingt folgendermaßen: Zwei Nachbarinnen treffen sich und reden über eine dritte. ,Hast du gehört, die Kowalska hat vielleicht ein Glück! Nicht nur, dass sie neben ihrem Ehemann auch einen Liebhaber hat, wurde sie jetzt außerdem auch noch vergewaltigt!'
(Tatsächlich gibt es im Netz auch Anzeigen einer ganzen Reihe älterer angeblich sexhungriger Frauen, die sich gratis zum Sex anbieten und dabei so tun, als könnten sie von sich aus partout nicht darauf verzichten. Ist das, wenn sie noch nicht einmal in ihrer Blütezeit davon profitierten, nicht paradox? Ich habe das Experiment nicht gemacht, bin aber fest davon überzeugt, dass es ihnen in Wahrheit gar nicht um die Lust geht. Vermutlich versuchen sie so, ihrer Alterseinsamkeit abzuhelfen oder sich unterderhand noch ein Zubrot zum spärlichen Haushaltsgeld zu verdienen.)
Gibt es aber keinen vaginalen Orgasmus, dann ist das eine ganz falsche Ideenassoziation und chauvinistische Wunschvorstellung der Männer. Gibt es keinen vaginalen Orgasmus, kann eine Frau nicht wirklich auch ein Bedürfnis nach dem Koitus haben. In Wahrheit hat die Frau überhaupt nichts davon, wenn sie gerammelt wird – es sei denn, es gilt ihr als untrüglicher Liebesbeweis des Mannes. In Wahrheit ist die Kopulation immer eine einseitige Gunstbezeigung seitens der Frau.
„... auch sie sprach von ihrem verstorbenen Mann“, heißt es in Becketts ,Molloy' von Ruth – als wäre das ein besonderes individuelles Missgeschick – „und von seiner Unfähigkeit, ihr legitimes Verlangen zu befriedigen“. Wie aber kann sie, oder Edith, oder der Autor, so naiv sein, zu glauben, das sei in anderen Ehen anders oder sie könne von einem Mann überhaupt befriedigt werden? Die Männer glauben wohl, eine Frau zu beschlafen wäre auch schon gleichbedeutend damit, sie zu befriedigen?
Natürlich ist das Verlangen der Frau nach sexueller Erfüllung insofern ,legitim', als es von der Natur so eingerichtet und ihr instinktiv eingeimpft wurde; und doch nicht ,legitim' in dem Sinn, als es von einer anderen Person, und nicht mal vom eigenen Ehemann, befriedigt werden können müsste. Befriedigt werden kann das weibliche Verlangen immer aber klitoridal, also durch die Onanie – bereit, „von Zeit zu Zeit“, wie Molloy selbst, „zu den angeblichen Diensten des sogenannten einsamen Genusses meine Zuflucht zu nehmen“. Ist noch nicht einmal ein so illusionsloser Autor wie Beckett nüchtern genug, das klar zum Ausdruck zu bringen?
In Patrick Süskinds ,Das Parfum' findet sich im französischen Grasse „nicht weit von der Porte des Fénéants, in der Rue de la Louve“, die Parfümistin Madame Arnulfi, eine verwitwete „lebhafte schwarzhaarige Frau von vielleicht dreißig Jahren, die das Geschäft allein mit Hilfe eines Gesellen führte“ – Dominique Druot, der es „gewohnt war, Madames Bett zu teilen“: „Er stellte sich vor Grenouille hin, der in Gegenwart dieses Hünen geradezu lächerlich windig aussah, breitbeinig, eine Wolke von Spermiengeruch verbreitend, musterte ihn, fasste ihn scharf ins Auge, als wolle er auf diese Weise irgendwelche unlauteren Absichten oder einen möglichen Nebenbuhler erkennen...“ Dann: „Druot erfüllte täglich seine sexuellen Pflichten“ – wie wenn Madame es, und noch dazu täglich, nötig hätte, sich von ihm begatten zu lassen, während doch die einzige Befriedigung, die dabei herausspringt, die seinige ist und die namentliche ,Pflicht' also immer diejenige auf Seiten der Frau zu sein pflegt.
Wie also? Ist der Autor Süskind so naiv, das nicht zu wissen? Oder jongliert er mit den Vorurteilen seines Publikums? Ist Madame Arnulfi wirklich so unbeholfen, es sich selber nicht besser zu machen? Braucht sie den Gockel als Bestätigung ihrer Weiblichkeit? Oder ist es einfach nur ein geschäftstüchtiger Trick der Patronin in der berechnenden Absicht, ihren Maître Gantier et Parfumeur bei der Stange zu halten?
Ein seltsam irritierendes Beispiel findet sich in Lion Feuchtwangers Roman ,Exil'. Da ist der bayrische Komponist Sepp Trautwein vor den Nazis von München nach Paris geflohen. Seine Frau Anna, die kurz zuvor ein Stellenangebot ihres Arbeitgebers in London abgelehnt hat, nimmt sich daraufhin das Leben. Merkwürdig ist die Begründung des Autors: Nicht nämlich die ständige Bedrohung durch die Nazis wird als Grund angeführt, sondern – dass der müde Sepp aufgehört hat, mit ihr zu schlafen.
Bizarr! Was hat das zu bedeuten? Heißt das, weil sie jetzt keinen Beweis seiner Liebe mehr hat? Aber kann er ihr seine Liebe nicht anders beweisen? Oder schätzt sie sich als Mensch und Frau nur insoweit und ist das Leben für sie nur insoweit lebenswert, als sie von ihm auch sexuell begehrt wird? Achtet sie sich nur als Konkubine und ,geht im Übrigen grau und unauffällig einher wie ein abgeschminkter Schauspieler, der sich für nichts erachtet, sobald er nichts darzustellen hat' (,Tonio Kröger')? Oder wie eine abgehalfterte Mähre, die ihres Daseins überdrüssig ist, sobald sie nicht mehr geritten wird und die Sporen spürt? Was hat der Lion sich bloß dabei gedacht?
Bezieht aber die Frau – mag sie kalt sein wie ein Fisch oder heiß wie ein Ofen! – aus dem normalen Koitus keine sexuelle Befriedigung, was ist dann mit den sogenannten Nymphomaninnen im gängigen Sinn weiblicher ,Mannstollheit' und Rolligkeit? „Die Nymphomanie“ – laut Wiki von altgriechisch νύμφη, nýmphē, deutsch ,Braut', sowie μανία, manía, deutsch ,Wahnsinn‘, ‚Raserei‘ „ist die Bezeichnung für gesteigertes Verlangen von Frauen nach Geschlechtsverkehr. Von Nymphomanie spricht man in der Regel jedoch nur, wenn der Wunsch nach Sexualität mit Promiskuität, also häufigem Partnerwechsel einhergeht.“
Eine typische Nymphomanin in dem Sinn ist Candida aus Nathalie Weidenfelds Roman Die Orangenprinzessin, die regelmäßig wie unter manischem Zwang auf Männerfang geht und ihre Eroberungen zu One-Night-Stands zu sich nach Hause abschleppt: „Vor allem seit Vera fühle ich mich mehr denn je als eine Raubkatze, hungrig und allein, inmitten eines gefährlichen Dschungels.“ „Im Bereich der Prostitution und Pornografie wird der Begriff“, so Wiki, „als eine Art Aushängeschild benutzt. Prostituierte bezeichnen sich in Inseraten oft ausdrücklich als nymphoman, auch Anzeigen für Telefonsex beziehen sich oft wörtlich oder sinngemäß auf diesen Begriff. In Illustrierten und im Internet werden zahlreiche – angeblich – sexhungrige Frauen vorgestellt“ – so dass die Mänaden damit buchstäblich auch noch die Werbetrommel rühren.
Angeblich, wie der Artikel vorsichtig einschränkt: Denn wie könnte eine Frau ein ,gesteigertes Verlangen nach Geschlechtsverkehr' – heterosexuell oder lesbisch – zeigen, wenn sie vom normalen Koitus gar nichts hat? Wär das nicht paradox?
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