Blog 132
Von da an ging Harry öfters ins Kino, schaute regelmäßig darin vorbei, begleitet stets vom Gefühl eines berüchtigten Abenteurers, sobald er aus der scheinbaren Unverfänglichkeit und political correctness des zivilen Lebens in den heimlichen und verfänglichen Underground eines Pornoschuppens abtauchte.
„Porno hatte was Aufregendes“, bekennt Norman Mailer in der Doku ,Inside Deep Throat'. „Er lebte in einer Art Zwischenwelt zwischen Verbrechen und Kunst. Und er war abenteuerlich.“
Pornos beschäftigten Kritiker, Polizisten, Gerichte. Die laszivsten Ausgeburten erotischer Kunst und Literatur und der dadurch angeregten Phantasien waren unbedarft und naiv gewesen – ein Dilettantismus, verglichen mit den sexuellen Enthüllungen des Pornoschuppens.
Thematisch folgt der Plot meist einem festgelegten Ablauf. Die Partner prospektiver Kopulationen lernen sich gelegentlich kennen, überspringen die Phase der Liebeswerbung gleichsam als überflüssigen Ballast, kommen unverzüglich zur Sache und gehen sich, unbeschadet vielleicht einer animierenden Striptease-Szene seitens der Frau, gleich an die Wäsche. Das beginnt meist mit einer Art Vorspiel.
Vorspiel bedeutet zumeist Oralverkehr: Fellatio und Cunnilingus, vulgär Schwanzlutschen und Muschilecken genannt, cocksucking, pussylicking und pussyeating.
Ladys first: Die Frau liegt nackt mit aufragenden Brüsten und Schenkeln auf dem Rücken und spreizt einladend die Beine, um dem Mann genügend Raum in ihrem Schoß zu schaffen; ihr Geschlecht liegt so offen und zugänglich da wie das Portal des Gartens Eden, wenn der Engel mit dem Flammenschwert gerade in der Kaffeepause ist.
Der Mann geht, in Rücken- oder Seitenansicht zum Betrachter, mit dem Kopf in ihre Gabel und liebkost ihr Geschlecht mit dem Mund. In den frühen Tagen des Porno, als die Zeitgenossen noch mäeutisch Pate standen – späterhin die ,Goldene Zeit des Porno' genannt –, sind die Akteurinnen um die Vulva herum meist noch dicht behaart. Gagatfarben schillerndes, braunes, auch helles blondes oder ins Rötliche spielendes Schamhaar spross von Frau zu Frau auf ihrem mons Veneris und umsäumte üppig wuchernd ihre Pussy.
Das Buschwerk ist individuell sehr unterschiedlich. Manche Frauen sind so stark behaart, dass es den Unterbauch bis halb zum Nabel hinauf, und abwärts noch rund um die Muschi bis in die Oberschenkel hinein wild wuchert. Der Darsteller fasst mit beiden Händen ihre Hinterschenkel unter und taucht mit Mund und Lippen tief ab in ihre Scham. Oder er zieht mit beiden Daumen ihre äußern und innern Labia so weit auseinander, dass sich ein in allen Regenbogenfarben schillerndes Panorama mit magentafarbenen Obertönen auftut.
Manche Muschis sind innen hellrot und bonbonfarben, manche spielen ins Bräunliche, Dunkelrote, Violette, so dass sie am ausgeleuchteten Set gleichsam opalisieren. Die gefältelten Schleimhäute ähneln dem Innern einer Muschel oder Auster, so dass man versteht, wie die Muschelschale, wie in klassischen Malereien der Venus Anadyomenes zu finden, zum förmlichen Symbol der weiblichen Vulva wurde. Und wie man den Weichkörper einer Auster schlürft, so saugt der Mann an den weichen Schleimhäuten der Vulva. Daher Gottfried Benn:
„Rot ist der Abend auf der Insel von Palau
und die Schatten sinken –“
singe, auch aus den Kelchen der Frau
lässt es sich trinken...
Bei den Menschen sind Austern als Speise immer schon beliebt, wobei allerdings nicht alle Austernarten genießbar sind; so kommen auch hier vergleichsweise nur die so genannten „kulinarische Austern“ in Betracht.
Man könnte auch sagen, der Mann wühlt mit Mund und Nase in ihrem Geschlecht wie ein Eber, der nach Trüffeln sucht, umkreist mit gelenker Zunge den vaginalen Vorhof, Vestibulum vaginae, und leckt die glänzend aufschwellende klitorale ,Perle'. Der Cunnilingus (von römisch cunnus ,weibliche Scham', daher englisch ,cunt', und ,lingua', ,Zunge') ist eine Form des Oralverkehrs, bei dem der Partner die äußeren Geschlechtsorgane der Frau, die Klit und ihre Eichel, äußere und innere Labien und den Scheideneingang, Introitus vaginae, mit Zunge und Lippen erregt.
Manch einem gestandenen Mannsbild ist es wohl eine ziemlich ausgefallene Vorstellung, mit Mund und Zunge im Geschlecht der geliebten Frau herumzuwühlen – und dennoch ist es, wenn sie etwas dabei empfindet, das Naheliegendste von der Welt. Es ist eine altherkömmlich überkommene Allerweltsgepflogenheit, wie spätestens ein römisches Fresko aus dem Pompeji des Jahres 79 zeigt. Das kannten schon die alten Römer, zumal das Wort Cunnilingus – ,Pussylicking' – wie gesagt aus dem Lateinischen kommt.
Vermutlich war schon der Homo erectus um das hedonistische Wohl seiner klitoral erigierten Homo erecta bemüht. Und schon im Alten Testament der Bibel findet sich eine Andeutung auf den Cunnilingus, Hohelied 7, 3: „שררך אגן הסהר אל יחסר המזג … Deine Vulva ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt“. Von da ist es nicht weit zu Benns ,Palau'.
Erst jetzt auch glaubt Harry den Doppelsinn aus Clotens Werbung um Imogen in Shakespeares ,Cymbeline' zu hören: „Na, kommt; stimmt!“, fordert der seine Musiker auf. „Wenn ihr mit eurer Fingerei bei ihr durchdringen könnt, gut; dann wollen wir es auch mit der Zunge versuchen; wenn nichts hilft, so mag sie laufen, doch aufgeben will ich es nicht.“
Er denkt an die Replik von Büchners ,Danton' auf die nymphomane Geschichte des Freudenmädchens Marion: „Du könntest deine Lippen besser gebrauchen.“
Angesichts des modernen Films bekommt der Satz einen neuen avantgardistischen Sinn: Die versierteren Liebhaber sind es spätestens seit zwei Jahrtausenden so gewohnt. In dem Streifen ,Greenberg' von Noah Baumbach 2010 wirft sich die Haushälterin Florence – die hinreißende Greta Gerwig (Wiki: „Der Kritiker A. O. Scott (The New York Times) pries sie unterdessen als mögliche ,maßgebliche Leinwandheldin ihrer Generation.“) – schon bei der ersten sexuellen Begegnung mit dem Titelhelden – Ben Stiller – spontan gleich rücklings aufs Bett, ihren Rock hochraffend und den Schoß einladend über der Kante. Er geht sofort davor auf die Knie und mit dem Mund in ihre Gabel.
Seitdem nimmt das Gelecke und Geschlecke auf den Bildschirmen rund um den Globus kein Ende mehr. Dantons Vorwurf, Marion gebrauche ihre Lippen nicht gut genug, wäre das Letzte, woran eine Pornodarstellerin zu gemahnen man heute noch Anlass fände... –
Comments