Blog 82
Übrigens ist diese sexuelle Erpressung nichts Neues, sondern dürfte von den Frauen wohl immer schon so oder ähnlich erprobt worden sein. Es ist schon der Inhalt des klassischen Schauspiels von ,Lysistrata', einer bekannten Komödie des altgriechischen Dichters Aristophanes, die 411 vor unserer Zeitrechnung – im zwanzigsten Jahr des Peloponnesischen Krieges – bei den Lenäen zur Aufführung kam. Das Stück handelt vom Widerstand der Frauen gegen die Männer als Verursacher von Krieg und den damit verbundenen Leiden.
So verschwören sich die Frauen Athens und Spartas moralisch, um den Frieden zu erzwingen: Sie besetzen unter Führung der Titelheldin Lysistrata – wörtlich die ,Heeresauflöserin' – die Akropolis von Athen und verweigern sich fortan sexuell ihren Gatten und Geliebten. Es ist, ungleich dem späteren Rütli-Schwur in Schillers ,Wilhelm Tell', eher ein langer und detaillierter Verhüterli-Schwur, in dem die Frauen eidesstattlich allen ihren sexuellen Bedürfnissen – oder besser, Verpflichtungen – abschwören, einschließlich ihrer altgriechisch favorisierten Vorzugsstellung ,Lioness on the Cheese Grater', auf Neudeutsch, ,reverse cowgirl'.
Die Dame Lampito bringt das Gleiche in der Stadt Sparta zuwege.
Unter anderem erscheint da plötzlich ein Mann auf der Bühne, der verzweifelt nach Sex verlangt – Kinesias, der Ehemann Myrrhinens. Lysistrata weist Myrrhinen an, ihn etwas zappeln zu lassen. Myrrhine verspricht Kinesias Sex nur unter der Bedingung, dass er zusagt, den Krieg zu beenden. Der Ausgehungerte stimmt überglücklich zu, und das junge Paar schickt sich prompt zum Koitus hic et nunc auf der Bühne an: Myrrhine schafft nacheinander ein Bett herbei, sowie eine Matratze, dann ein Kissen, sodann eine Decke, dann eine Ölflasche. So hält sie Kinesias mit Verzögerungen hin, bis sie ihn, sich wieder auf der Akropolis verbarrikadierend, letztlich völlig im eigenen Saft verschmoren lässt.
Ein Chor alter Männer – akkurat! – bemitleidet den Jüngling in einem klagenden Lied. Vielleicht gilt ihre Klage unterderhand auch dem Umstand, dass damals – zwei Jahrtausende vor Abschaffung des Pornoparagraphen –, selbst dann, wenn es zum Sex gekommen wäre, er doch nicht auf offener Bühne hätte gezeigt werden dürfen?
Da erscheint, mit einem kapitalen Ständer unter der Tunika, ein spartanischer Herold und verlangt nach Friedensgesprächen mit dem herrschenden Rat. Der Magistrat, selbst mitsamt lauter Erektionen, lacht über die peinliche Situation des Herolds und stimmt Friedensgesprächen zu. Nach einigen Verwicklungen und Rückfällen – mehrfach versuchen rollige Streikbrecherinnen die Burg in Richtung der Männer zu verlassen, oder aber die phallisch aufgebrachten Kämpen wollen die Burg erstürmen – führt der Liebesentzug zum Erfolg …
Kein besonders großes Opfer, möchte man meinen, seitens der Amazonen!, – sie haben ja sowieso nichts davon und genügen sich selber allein gut genug. Ihr Schwur ist, sollte er eigener ipsistischer Enthaltsamkeit gelten, wohl eher ein Meineid.
Dass, was die Lust betrifft, Ähnliches auch für die Männer gilt, ist ihnen nur dunkel bewusst … –
Einen mittelalterlichen Erpressungsfall solcher Art schildert Thomas Mann in seinem Roman ,Der Erwählte': Da gibt der Fischer Wiglaf das am Strand gefundene Kleinkind Gregorius gegen Entgelt in die Obhut seiner Frau Mahaute. Mahaute wundert sich über den plötzlich hereingebrochenen Wohlstand und würde gern hinter das Geheimnis kommen. Wie folgt:
„Hab ich dir nicht“, drohte der Mann, „bei meinem Leibgurt das Fragen verboten?“
„Nach dem Kind hast du mir zu fragen verboten, nicht nach dem Gelde!“
„Ich habe dir überhaupt zu fragen verboten“, sagte der Mann.
„Nach nichts soll ich mehr fragen dürfen? Du sammelst Schätze und zauberst Hornvieh und Schweine herbei, und ich soll nicht fragen: mit wessen Hilfe?“
„Weib“, sagte der Mann, „noch ein Wort, und ich zieh den Gurt und mach dich zetern aus anderm Grund.“
Da schwieg sie. Aber bei einer Nacht, als ihn nach ihrem dürren Leib ehelich verlangte, da ließ sie ihn nicht heran, ehe er ihr vertraut hatte, wie es mit dem Kinde gewesen, dass er und sein Bruder es mit frostiger Hand von der Freise gefischt und der Abt es entdeckt hätte, der hätte ihm zwei Goldmark gegeben, damit sie es aufzögen fürs Kloster. Aber wes Kind es sei, und wer es im Fässlein aufs Meer gesetzt, das wisse niemand. Nachher, als er sein Genüge gehabt, da sprach er:
„Uff, es war das Geheimnis nicht wert! Hältst du es nicht und twaddelst es aus, dass Grigorß ein Fundkind ist von der See, so schlag ich dich blau und lahm.“
,Uff, es war das Geheimnis nicht wert': Wie viele enttäuschte Romeos im Lauf der Geschichte diesen Stoßseufzer unter entsprechenden Umständen wohl schon von sich gegeben haben?
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