Blog 108
Noch einmal: Was aller Augenscheinlichkeit nach ist der eigentliche Grund dafür, dass die Natur das Zentrum der weiblichen Libido nicht in die Vagina, das Organ der Fortpflanzung und Erhaltung der Art, selbst hineingepflanzt hat?
Was hatte die selektive Evolution damit im ,Sinn' – was ja, jedes Anthropomorphismus unverdächtig, immer nur heißen kann, selektiv begünstigt?
Oder umgekehrt: Ist die Eigenständigkeit des klitoridalen Lustzentrums außerhalb der Vagina nicht nachgerade ein zwingender Hinweis darauf, dass die weibliche sexuelle Lust primär und allgemein gar nicht um des Geschlechtsverkehrs und der Erhaltung der Art willen entstanden ist?
Worum willen aber dann?
Wofür sonst denn dann, wenn zuerst und vor allem nicht um der Lust der Person selbst – in ihrer hedonistischen Selbstbefriedigung – willen?
Anders formuliert: Ist die weibliche Sexuallust in Wahrheit eigentlich gar keine Sexuallust im eigentlichen Sinn – insofern, als sie ursprünglich nicht sowohl der sexuellen Fortpflanzung und Erhaltung der Art, als vielmehr der libidinösen Selbstbefriedigung der Einzelperson selber dient?
Das wäre andererseits nicht allzu fern des Befunds der wissenschaftlichen Psychologie: „Alle Menschen onanieren. Von dieser Regel gibt es keine Ausnahme“, schreibt Wilhelm Stekel. „Diese Phantasien machen die Onanie dem Individuum, das sich an sie gewöhnt hat, unentbehrlich. Sie können in den seltensten Fällen von der Wirklichkeit erreicht und durch eine nur einigermaßen befriedigende Realität abgelöst werden. So wird die Onanie zur einzigen adäquaten Form der Befriedigung für viele Menschen.“
Und welches maskuline oder feminine Individuum unter der Sonne hat sich in Anbetracht seiner notorischen jugendlichen Einsamkeit eigentlich nicht an die Onanie gewöhnt? Und damit an Phantasien, die in den seltensten Fällen von der Wirklichkeit – i.e. dem intersexuellen Geschlechtsverkehr – erreicht und durch eine auch nur einigermaßen befriedigende Realität – nämlich den koitalen Verkehr – abgelöst werden ?
Das scheint immer noch die falsche Perspektive. Denn wie, wenn die realistische Lust der Selbstbefriedigung ja gar nicht unbedingt durch eine andere ,befriedigende Realität' abgelöst werden soll? Wenn die Lust der Selbstbefriedigung von Anfang an die eigentliche befriedigende Realität ist und es auch ein Leben lang bleibt – und die Befriedigung durch den intersexuellen Koitus nur eine nachrangig abgeleitete Version davon?
Wird in den meisten Fällen die einsame ipsistische Lust von der Wirklichkeit nicht erreicht und bleibt es bei den erotischen Phantasien, ist dies vielleicht ganz in der ursprünglichen Absicht der Natur! Bei den Frauen liegt es schon anatomisch zutage: am extravaginal ausgelagert entlegenen Kitzler. Der Umstand, dass diese Lust beim männlichen Geschlecht mit der Reizung des Penis koinzidiert, erscheint so gesehen eher ein sekundärer Behelf der Natur – des ,egoistischen Gens' –, wodurch sie zusammen mit dem Fortpflanzungsverfolg zwei Fliegen mit einer Klappe schlug – eine akzidentielle biologische Koinzidenz, die bei der Frau in dieser Form warum auch immer nicht stattgefunden hat. Wie anders sonst wäre der reale evolutionär bedingte anatomische Befund zu erklären?
Manche gingen davon vielleicht immer schon aus; für diese kommt es nichts weniger als überraschend. Für andere aber ist es eine Entdeckung, die, nachgerade richtungsweisend, ihnen das gesamte geschlechtliche Schicksal der Menschheit umzustürzen und vom Kopf auf die Füße zu stellen scheint. Denn was folgt daraus?
Es ergibt sich zuerst, dass im Gegensatz zum Mann die Frau beim normalen so gut wie ausschließlich vaginalen Geschlechtsverkehr, entgegen der stereotypen gegenteiligen männlichen Annahme – die sich sich wohl seit der Urzeit eingebürgert hat –, überhaupt zu keinem Orgasmus kommt!
Woraus wiederum folgt, dass wenn der Mann beim Liebesakt seit der Steinzeit auch irgend Wert auf die Lust der Frau legt – was vielleicht an sich aber erst eine Erscheinung der jüngeren Sexualgeschichte ist –, er sich mitnichten auf den Vaginalverkehr beschränken darf, sondern sich statt dessen intensiv auch um die klitorale Stimulation seiner Partnerin kümmern muss – wodurch dann aber der Konflikt entsteht, dass die Frau, laut Simone de Beauvoir, die klitorale Befriedigung durch den Partner ablehnt, „weil sie, noch mehr als die vaginale Lust, ihnen wie aufgezwungen erscheint. Denn wenn die Frau einerseits unter dem Egoismus des Mannes leidet, der nur an seine eigene Befriedigung denkt, wird sie anderseits auch durch einen zu ausgesprochenen Willen, ihr Lust zu verschaffen, verletzt …
Fühlt sie dennoch diesen Willen heraus, lehnt sie sich auf: Vielen ist es zuwider, sich mit der Hand liebkosen zu lassen, weil die Hand ein Werkzeug ist, das an der Lust nicht teilhat, die sie verschafft, weil sie Tätigkeit und nicht sinnliches Empfinden ist. Und wenn der Geschlechtsteil selbst nicht erregte Sinnlichkeit ist, sondern als ein geschickt verwendetes Werkzeug erscheint, empfindet die Frau denselben Widerwillen. Darüber hinaus scheint ihr jeder Wiedergutmachungsversuch die Unmöglichkeit nur zu bestätigen, die Empfindungen einer normalen Frau kennenzulernen…
Der Mann begeht einen schweren Fehler, wenn er seiner Partnerin seinen eigenen Rhythmus aufzwingen und sich hartnäckig darauf versteifen will, ihr einen Orgasmus zu verschaffen. Oft erreicht er dabei nur, dass er die Form der Wollust zerstört, die sie auf ihre besondere Art zu durchleben begonnen hatte“!
So scheint das Klitorissystem als evolutionsbiologische Errungenschaft überhaupt nur um der weiblichen Lust willen vorhanden! Damit eröffnet sich dem männlichen Part bei der körperlichen Liebe eine ganz eigene Dimension, der er sich erst einmal gewachsen zeigen muss, – dabei so eigen nun aber auch wieder nicht, wenn er nur seiner eigenen Onanie eingedenk bleibt. Denn wie soll er, wenn er vaginal nicht mit dem Penis heranreicht, die weibliche Klitoris eigentlich erregen?
Er kann sie, wie in der Regel sich selbst, manuell mit Hand und Fingern, stimulieren. Er kann sie aber auch – das hat er der Partnerin, es sei denn sie ist eine wahrhaftige Akrobatin, voraus – oral mit Mund und Zunge, reizen. Erregt er sie oral, ist es der Cunnilingus (von lateinisch cunnus „weibliche Scham“ und lingua „Zunge“) – der seit der Antike geläufige Oralsex. (In meinem Roman ,Die Liebe in den Zeiten des Internets' erinnert der junge Harry sich der Abbildung einer antiken Skulptur mit einem – gleichwie aus Jade geschnitzten – Faun beim Cunnilingus mit einer ihrer Lust hingegebenen Nymphe, und wie fasziniert er war von der animalischen Sexualität, die dadurch zum Ausdruck kam. Die Nymphe saß auf einem erhöhten Piedestal, so dass der Faun von unten her bequem an sie herankam. Im heutigen Onlinesex ist praktisch jeder männliche Akteur ein solcher Faun.) Das Pussylicking oder -eating findet sich anschaulich schon auf einem Fresko in Pompeji von 79 n. Chr., – praktiziert von einem der prozentual wohl unterrepräsentierten Lover, die sich schon damals damit auskannten. Sicherlich aber gab es vereinzelte Virtuosen schon seit der Steinzeit – etwa seit dem Magdalénien, als es einer jungpaläolithischen Magdalena oder Madeleine in der Grotte du Cheval oder der Höhle von Altamira 20.000 bis 14.000 Jahre vor unserer Zeit mit der Zunge besorgt wurde. Es gibt heute sogar Pornos über das Liebesleben der Höhlenmenschen, lange vor den Römern, mit Fellatio und Cunnilingus; allerdings dass man sich dabei manchmal fragen könnte, warum – und womit – die vorsintflutlichen Damen sich damals schon so makellos rasiert haben.
Ob der Liebende damit immer Erfolg hat und die Geliebte allein schon durch Lecken und Saugen kommen lässt, bleibe dahingestellt, – klar ist jedenfalls, dass wenn sie überhaupt orgasmieren soll, es nur, und sei's durch ihre Selbststimulation – wenn sie unter ihren eigenen Fingern kommt –, auf diese Weise geht!
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