top of page
Suche
  • freudholdriesenhar

Die eskalierende Lust?

Blog 53


Was ist die Liebe? Was Prügel sind, das weiß man schon, schreibt Heine; was aber die Liebe ist, das hat noch keiner herausgebracht. Einige Naturphilosophen haben behauptet, es sei eine Art Elektrizität. Das ist möglich; denn im Moment des Verliebens ist uns zumute, als habe ein elektrischer Strahl aus dem Auge der Geliebten plötzlich in unser Herz eingeschlagen. Ach! diese Blitze sind die verderblichsten, und wer gegen diese einen Ableiter erfindet, den will ich höher achten als Franklin.

Und so geartet ist die gespannte Erregung, dass, wenn man einmal etwas davon genossen hat, man kaum mehr mittendrin aufhören kann, sondern immer noch mehr davon haben, sie immer noch steigern will – bis ihr maximales Potential erreicht ist. Dieses größtmögliche Potential und seine Entladung ist der sexuelle Höhepunkt, der Orgasmus.

Je ausgedehnter und hormonell gesättigter, desto umfassender und aufgeladener das elektrochemische Feld der Lust – das neuronale Feld, in dem die sexuelle Erregung besteht! – durch kontinuierliche akkumulierende Stimulation bereits ist, desto größer ist der elektrische Blitz ultimativer Entladung und die Menge der dabei ausgeschütteten endogenen Drogen, – desto stärker ist der resultierende Orgasmus!

Warum kann man nicht einfach mittendrin aufhören? Offenbar bleibt das elektrochemisch geladene elysische Feld, sobald es einmal etabliert ist und einen gewissen Grad libidinöser Gespanntheit erreicht hat, bis zur endgültigen Entspannung erhalten – und wird als zugleich angenehm und unangenehm, als Lust und Qual empfunden. Als Lust – weil sie mit der simultanen Freisetzung von Lust einhergeht; als Qual – vielleicht aufgrund des unausgeglichenen Potenzials und neuronalen Spannungszustands, der nach erlösender Entladung verlangt. Daher wohl jene Liebespein, wie Wladimir Nabokov sie mit unübertroffener Meisterschaft in ,Lolita' gleich zu Anfang in Humbert Humberts Begegnung mit Annabel beschreibt:

„Eines späten Abends gelang es ihr, die bösartige Wachsamkeit ihrer Familie zu überlisten. In einem schlank und nervös gefiederten Mimosenhain hinter ihrer Villa fanden wir einen Platz auf den Überresten einer niedrigen Steinmauer. Durch die Dunkelheit und das zarte Laub konnten wir die Arabesken erleuchteter Fenster sehen, die mir heute, von den farbigen Tinten empfindsamen Erinnerns angetuscht, wie Kartenblätter erscheinen wollen – vermutlich, weil ein Bridgespiel den Feind ablenkte. Sie zitterte und zuckte, als ich den Winkel ihrer geöffneten Lippen und ihr heißes Ohrläppchen küsste. Ein Büschel Sterne glühte blass zwischen den Silhouetten der langen dünnen Blätter über uns; der vibrierende Himmel schien so nackt zu sein wie sie selbst unter ihrem leichten Kleid. Ich sah ihr Gesicht in diesem Himmel, seltsam deutlich, als strahle es einen ihm eigenen schwachen Glanz aus. Ihre Beine, die holden, lebendigen Beine, waren nicht zu dicht beieinander, und als meine Hand die Stelle fand, die sie suchte, kam ein träumerischer, unirdischer Ausdruck, halb Lust, halb Qual, in ihre kindlichen Züge. Sie saß etwas höher als ich, und sooft es sie in ihrer einsamen Verzückung dazu drängte, mich zu küssen, senkte sie den Kopf in einer schläfrigen, sanften, matten Bewegung, die fast traurig war, und ihre nackten Knie hielten und pressten mein Handgelenk und lockerten sich dann wieder; und ihr bebender Mund, von der Schärfe eines geheimnisvollen Tranks verzogen, kam mit einem zischenden Einziehen des Atems nah an mein Gesicht. Sie versuchte, die Liebespein zu lindern, indem sie zuerst ihre trockenen Lippen rau gegen die meinen rieb; dann zog sich mein Liebling mit einem nervösen Schütteln des Haars von mir zurück, kam dunkel wieder und ließ mich an ihrem offenen Mund weiden, während ich mit einer Hingabe, die bereit war, ihr alles zu schenken, mein Herz, meine Kehle, meine Eingeweide, ihrer ungeschickten Faust das Zepter meiner Leidenschaft zu halten gab...“ – Ende des Zitats, denn dann stören die Eltern.

Eine Stelle von klassisch unfehlbarer Stimmigkeit, an welcher nichts zu rütteln ist, – es sei denn vielleicht, dass wenn seine Hand an der Stelle ist, wo wir sie vermuten, sie doch schon zu weit über ihr Knie hinaus sein dürfte, als dass es noch sein Handgelenk pressen könnte.

Eine Spannung, halb Lust, halb Qual, der man nur dadurch ledig wird, dass man das gesamte elektrische Feld zur Entladung und seine chemische Fracht zur Ausschüttung bringt; was aber wieder nur dadurch geht, dass die Spannung bis zur eruptiven Explosion gesteigert wird, und zugleich mit der Spannung steigert sich auch die dadurch ausgeschüttete Lust. Lamettries ,Maschine Mensch'. Ist die Liebe also auch nicht direkt ein elektrisches Phänomen, – der Sex, im Einklang mit der Chemie, ist es!

Woher die schläfrige, sanfte, matte Bewegung, die fast traurig war? Ist es eine instinktive Ahnung der Seele, dass der tellurische libidinöse Reiz, der uns bis in die hintersten Behausungen des Blutes hinein erfasst, durch die Begegnung des Fleisches nicht restlos auch bis zur Neige befriedigt wird?

1 Ansicht0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Σχόλια

Βαθμολογήθηκε με 0 από 5 αστέρια.
Δεν υπάρχουν ακόμη βαθμολογίες

Προσθέστε μια βαθμολογία
bottom of page