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Der Porno als Prothese der Sinnlichkeit?

freudholdriesenhar

Blog 128


So sind die hedonistischen Ekstasen des Pornoschuppens in der realen Begegnung der Geschlechter kaum nachvollziehbar – auch mit der versiertesten Liebesdienerin nicht; und nicht einmal in der ipsistischen Phantasie der Person.

Keine visuell unbewaffnete erotische Einbildungskraft vermag mit der Invasion realistischer Bilder mitzuhalten, die von der Leinwand sechzehnmal pro Sekunde und 57.600 mal pro Stunde auf sie einströmen. Keine säkulare Venus, nicht Gina Lollobrigida, Brigitte Bardot oder Julie Christie, und auch Elle Macpherson nicht, und auch nicht die reizendste Miss Universe und kein profaner sexiest man alive kann auf Dauer mit den erregend erregten Leibern konkurrieren, die unter orgiastischem Gestöhne über die Leinwand flimmern.

Das ermöglicht sichtlich erst das moderne Medium Film durch die volle Erfüllung aller Dimensionen des Seh- und Gehörsinns.

Das gilt dann direkt aber auch für die Intensität des solcherart bedingten Orgasmus selbst – der ja nichts anderes ist als der Moment, da das durch das visuelle System aufgebaute maximale elektrochemische Potenzial zur finalen Entladung kommt.

Der Orgasmus ist die ultimative Entladung des zerebralen Feldes der Lust; daher muss, damit er von optimaler Wirkung sei, das Feld selbst optimal etabliert sein. Optimal etabliert ist es dann, wenn maximal viele zerebrale Areale mit erfasst und elektrophysiologisch-hormonell geladen werden. Das aber geht nur unter Beteiligung des Geistes und der sexuellen Phantasie selbst – und auch dann nur in der dazu erforderlichen Zeit; das aber ist im zwischengeschlechtlichen Verkehr der Partner, wo das Fleisch dominiert und die Phantasie so gut wie ausgeblendet ist, nicht zu erreichen.

Das erotische Lichtspiel dagegen schafft es buchstäblich spielerisch, die erotische Phantasie zu mobilisieren und auf Touren zu bringen. Das innerste Blut heizt sich auf, ohne dass der Voyeur von sich aus das Geringste dafür tun muss. So sind die Pornos heute im selben Sinn Prothesen der Lust, wie etwa das Mikroskop eine Prothese des Sehsinns oder die Künstliche Intelligenz eine Prothese der natürlichen Intelligenz ist.

Mithin wird es dem Einzelnen in der ganzen Menschheitsgeschichte auch überhaupt erst durch den Porno möglich, sein individuelles sexuelles Potenzial vollständig zu erfahren und auszuloten. Es physiologisch voll zu realisieren. Das aber passiert erst vor dem visuellen Medium, und so gesehen ist dies anthropologisch eine ganz außerordentliche, historisch einzigartige Neuheit.

Bedenken wir insbesondere die Auswirkung auf die Jugend! Die jugendliche Sexualität entsteht, sagen wir, zwischen dem dreizehnten bis vierzehnten Lebensjahr, bei den Mädchen etwas früher. Der erwachende Sexualtrieb wird bemerkbar als eine neuronale elektrophysiologische Spannung und/oder hormonelle Entzugserscheinung und verlangt nach Befriedigung.

„Aber hier wollen nun schon“, hörten wir Kants ,Anthropologie', „die Naturepochen seiner Entwicklung mit den bürgerlichen nicht zusammentreffen. Nach der erstern ist er im Naturzustande wenigstens in seinem 15ten Lebensjahre durch den Geschlechtsinstinkt angetrieben und vermögend, seine Art zu erzeugen und zu erhalten. Nach der zweiten kann er es (im Durchschnitt) vor dem 20sten schwerlich wagen. Denn wenn der Jüngling gleich früh genug das Vermögen hat, seine und seines Weibes Neigung als Weltbürger zu befriedigen, so hat er doch noch lange nicht das Vermögen, als Staatsbürger sein Weib und Kind zu erhalten.

Er muss ein Gewerbe erlernen, sich in Kundschaft bringen, um ein Hauswesen mit seinem Weibe anzufangen, worüber aber in der geschliffeneren Volksklasse auch wohl das 25. Jahr verfließen kann, ehe er zu seiner Bestimmung reif wird.

Womit füllt er nun diesen Zwischenraum einer abgenötigten und unnatürlichen Enthaltsamkeit aus? Kaum anders als mit Lastern.“

Mit den ,Lastern' dürfte zuerst und vor allem die sexuelle Selbstbefriedigung gemeint sein: Der Jugendliche legt Hand an und befingert sich selbst; da ist kein Unterschied zwischen den Geschlechtern. Um aber ipsistische Befriedigung zu finden, ist der Onanist auf seine bloße erotische Phantasie angewiesen: Was er sich vorstellt, ist eine Frau seiner oder ein Mann ihrer Präferenz – in die er oder sie gerade verschaut ist – oder ein halbnacktes Mannequin oder Bilderbuchmannsbild aus einer Zeitschrift, und er oder sie imaginiert seinen und ihren Liebesakt mit ihr und ihm in all seinen Varianten. Das dürfte seit der grauen Vorzeit so gelaufen sein...

Vordem aber war das allein eine Vorstellung seiner Phantasie oder ein statisches Bild aus einem Magazin, das er mittels seiner Einbildungskraft zum Leben erweckte und die Begattung auf seine Weise ablaufen ließ. Er bildete sich den attraktiven Körper der Partnerin ein, ihre zärtlichen Liebkosungen, ihre leidenschaftliche Hingabe, ihre orgiastischen Regungen, ihren aufgewühlten Schoß, das erregte Geschlecht, das ekstatische Antlitz, den brüchigen Blick, die seufzenden, stöhnenden, keuchenden, ächzenden Laute der Lust, etc. All das aber war hauptsächlich eine Hervorbringung und Schöpfung seiner eigenen Phantasie, die stets imaginativen Aufwand und fantastische Anstrengung kosten. Der onanistische Akt währte daher nur kurz und ging, je nach Temperament und Obsession, mehr oder weniger rasch über die Bühne.

Reichten Zeit und Einbildungskraft nicht aus und machten auf halber Strecke schlapp, dann gelangte die Person erst gar bei weitem nicht auf jene in ,Lolita' beschriebene „Seinsebene, wo nichts galt außer dem Lustgebräu, das in meinem Körper gärte“. Es kam zu keinem sexuellen Rauschzustand, keinem Sexualrausch im eigentlichen Sinn – mit dem Ergebnis, dass die Person hedonistisch weitab ihrer latenten libidinösen Möglichkeiten blieb und ihr wahres, ultimatives sexuelles Potential gar nie kennenlernte. Alles war vorbei, bevor es überhaupt erst hätte im eigentlichen Sinn dionysisch und rauschhaft werden können.

Zurück in der Zisterne der Lust blieb ein trüber schaler unbefriedigter Rest – sowie das Gefühl, weit hinter seinen potentiellen hedonistischen Möglichkeiten zurückgeblieben zu sein und sein eigentliches individuelles Potenzial nur sehr unbefriedigend ausgelotet zu haben. „In diesem Halbschlummer freute ich mich, dass mir das Einschlafen gelungen war“, heißt es im Roman ,Molloy' des irischen Nobelpreisträgers Samuel Beckett, der noch nie ein Blatt vor den Mund nahm,„als mein Sohn ohne anzuklopfen eintrat. Nun verabscheue ich nichts mehr, als dass jemand mein Zimmer betritt, ohne anzuklopfen. Ich könnte ja gerade dabei sein, vor meinem dreiteiligen Spiegel zu onanieren. Wirklich ein wenig erbauliches Schauspiel für einen Knaben, seinen Vater zu erblicken, wie er sich mit weitgeöffnetem Hosenlatz und verdrehten Augen einen trüben und schalen Rausch abnötigt. Ich ermahnte ihn mit fester Stimme, Anstand und Sitte zu wahren.“

 
 
 

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