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Die erste mir bekannte Szene weiblicher Onanie in der Geschichte des zivilen – nicht-pornografischen – Films findet sich in Ingmar Bergmans ,Das Schweigen' mit der umwerfend schönen Ingrid Thulin, einer sichtlich auch im realen Leben sinnlichen Frau. Man sieht sie als eine ältere Schwester namens Ester auf ihrem Bett mit hintübergeworfenem Kopf, wobei sie dem Zuschauer direkt in die Augen schaut, wie sie sich in den Schlüpfer greift und sich, den Betrachter nicht aus dem Blick lassend, im Slip selbst befingert.
Die Thulin ist eine so hinreißend schöne und sinnlich wirkende Frau, dass man's ihr am liebsten gleich nachmachen möchte. Sie simuliert, mit der Hand zwischen den Schenkeln, die gleiche süß-verzehrende Wollust wie etwa Hedy Lamarr, die in ,Ekstase' als Vorläuferin des – allemal fraglichen – weiblichen koitalen Orgasmus auf Zelluloid dafür Propaganda machte.
Ganz den gleichen süß-seligen Orgasmus hat Ester im ,Schweigen', abgesehen eben davon, dass er ihr nicht beim Sex mit einem Mann, sondern beim ,sex for one' ihrer einsamen Selbstbefriedigung zuteil wird – ein Unterschied von womöglich nicht unerheblichem Einfluss auf die Natur des Orgasmus selber. So ist Esters Ekstase gewissermaßen noch überzeugender als die von Hedy Lamarr.
Dies wie gesagt die erste mir bekannte Szene weiblicher Onanie in der Geschichte des zivilen Films, – denn dass die Frauen ebenso virulent und hemmungslos masturbieren würden wie im zeitgenössischen Porno, lag damals noch im keuscheren Schoße der Zeit!
Das war aber eine ganz unerhörte Nouveauté: Wann hätte man jemals eine Frau, außer im eigenen Schlafzimmer, auf der Leinwand oder sonstwo onanieren sehen? Das war eine absolute Novität und sorgte im Kino der Zeit für ungeheueren moralischen Aufruhr und einen handfesten Filmskandal. „Schon vor dem Erscheinen in Deutschland“, so Wikipedia, „wurde in der Presse berichtet, der Film habe in Schweden einen Skandal ausgelöst... Als anstößig wurden der Liebesakt eines Paares, der Verkehr Annas mit einem Fremden und die Masturbationsszene der älteren Schwester angesehen… Deutschland und Schweden zählten zu den wenigen Nationen, in denen Das Schweigen ungekürzt aufgeführt werden konnte. In den USA wurde der Film mit Schnittauflagen freigegeben, in Frankreich wurde er zunächst ganz verboten.
Die Freigabe des Films durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) sorgte für einen Sturm der Entrüstung und massive Proteste. Der Skandal führte zur Gründung der Aktion ,Saubere Leinwand'. Die breit geführte Zensurdebatte bescherte dem Film einen Skandalerfolg: Allein in der Bundesrepublik Deutschland hatte der Film zehneinhalb Millionen Zuschauer.“
Man konnte die Thulin ebenso ihrer Schönheit und Sinnlichkeit wie auch ihrer sexuellen Vorurteilslosigkeit und Zivilcourage wegen nur bewundern.
Also auch die Frauen masturbieren und haben ihren Höhepunkt dabei! Wieso denn aber auch nicht? Was sollten die Mannsbilder ihnen da so grundsätzlich voraus haben? Zwar ist auch Ingrids rallige Leinwand-Klimax natürlich nur geschauspielert und fingiert – fingiert gefingert –, doch ist sie menschlich vielleicht noch plausibler als diejenige Hedy Lamarrs: Die Ekstasen der Onanie sind, im Unterschied zu den koitalen, jedem normalen Kinobesucher vertraut, so dass an ihrer Wirklichkeit kein Zweifel besteht. Ingrid macht also nur vor, was alle im Parkett aus eigener Erfahrung kennen. Trotzdem brechen die für die damalige Zeit unerhörten Szenen einen der größten Filmskandale der 1960er Jahre und eine erbitterte Zensurdebatte vom Zaun. –
Seither kommt die weibliche Onanie auch im bürgerlichen Film mit schöner Regelmäßigkeit vor. Seit Jean-Luc Godard gehört sie fast mit zum kinematografischen Standard. In der Filmkomödie ,Happy, happy' der norwegischen Regisseurin Anne Sewitsky von 2010 beispielsweise schiebt die mit Sigve verheiratete Dänin Elisabeth, verkörpert von Maibritt Saerens, als sie sich allein glaubt, mit sichtlich schelmischem Gesichtsausdruck die Hand in den Schlüpfer – vielleicht ein innerskandinavisches Zitat, das unmittelbar an Ingrids Selbststimulation in ,Das Schweigen' anknüpft. Dabei ist die Dänin Maibritt, genau wie die Thulin, eine sichtlich so sinnliche Frau, dass man ihr gebannt dabei zusieht.
Leider kommt da zufällig gerade ihr Mann Sigve nach Hause und unterbricht die mit ekstatischen Zügen mänadisch hintüber Gebäumte bei ihrem Werk, so dass man ihr nicht weiter dabei folgen kann.
Was soll der biedere Gatte davon halten? „Onanierst du?“, fragt er rhetorischerweise.
Da der Regisseur, Anne Sewitsky, selber eine Frau ist, darf sie wohl direkt so unverblümt fragen; bei einem Mann würde man es eher ungalant nennen. Elisabeth antwortet erst gar nicht besonders, sondern knöpft sich, da sie eh nicht ungestört weitermachen kann, die Hose wieder zu, drängt sich stumm an ihm vorbei und verschwindet durch die Tür ins nächste Zimmer. Leider wird sie da nicht von der Kamera begleitet, so dass man ihr wieder nicht weiter mehr folgen kann. Maibritt ist mit Sicherheit dazu imstande, überzeugend einen weiblichen Orgasmus rüberzubringen. Sigve bleibt betreten zurück.
Obwohl es eine Komödie ist, ist man nicht sicher, ob Sigve oder sonstwer laut darüber lacht. Onanie in der Ehe – gibt es das? Vielleicht liegt es daran, dass der Film von einer Frau gemacht ist, die damit sozusagen aus der Schule plaudert, und sicher nicht nur aus der skandinavischen.
Ein Geständnis weiblich-libidinösen Selbstverständnisses? Wirkt es nicht äußerst entspannt?
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