Blog 92
Viel Resonanz im Internet beispielsweise fand und findet der Cunnilingus des amerikanischen Models Paris Hilton, Urenkelin des Hotelgründers Conrad, eine der künftigen Erben des Hilton-Vermögens, und Protagonistin eines kommerziell vertriebenen privaten Sexvideos 1 Night in Paris – der meistverkaufte Pornofilm des Jahres 2005 –, der sie zusammen mit ihrem damaligen Freund Rick Solomon zeigt.
Die Szene ist in Farbe. Paris posiert, das weiße T-Shirt neckisch aufgerollt um den Hals gewickelt, mit sinnlich geöffneten Lippen nackt vor der Kameralinse wie vor einem Spiegel, ihre kleinen, noch von keinem Schönheitschirurgen geschändeten Brüstchen zeigend. Dann ihr fein geschnittenes Gesicht unterm Blondschopf. Als Nächstes schminkt sie sich im Bad. Solomon im weißen Bademantel macht den Paparazzi. „Beautiful, … beautiful beast“, albert er. Schwarze sexy Dessous, schwarze Kniestrümpfe, hochhackige Schuhe; ihr Blondschopf zu Schulmädchenzöpfen geflochten, im Bauchnabel zwei Perlen. Die Hilton könnte sich bestimmt sogar echte leisten. Jetzt wie ein Model für Damenunterwäsche, denn eine Dame ist sie ja wohl. Sie soll ihm ihre Pussy zeigen, verlangt ihr Kameramann: „Pussy! Pussy!“ Sie soll das Dessous ausziehen. Er will ihren Beaver – das Möschen – sehen.
Offenbar hat er Erfolg, denn die nächste Einstellung zeigt sie hingelagert in einen neben dem Bett stehenden Sessel. Ohne Slip, nur noch den BH und die schwarzen Kniestrümpfe über den Stöckelschuhen. Den Arm im Nacken, gleicht sie Goyas nackter Maja im Madrider Prado; ihre Intimität ist, wie die der Herzogin von Alba, unbehaart, ausrasiert. Solomon will sie – „sucky, sucky“ – zum Pussylicking ködern, aber sie ziert sich. Warum eigentlich? Was kann sie schon dagegen haben? Nicht in Stimmung? Sind die elysischen Hormone ihres Nebennierenmarks noch nicht regeneriert, die Zisterne ihrer Lust nach der Refraktärphase noch nicht wieder gefüllt? Eine Flasche Schaumwein, am Flaschenhals kühlend zwischen den Beinen gehalten. Vor seiner Kamera nicht ohne eine gewisse schamhafte Befangenheit. Fragt sie sich vielleicht, warum sie einen Film drehen soll, wenn er nicht irgendwann und irgendwo auch gezeigt würde? Reizend konfligiert ihr Schamgefühl mit dem manifesten Exhibitionismus ihrer Lage. Sie weiß, sie fühlt, sie öffnet ihren unbescholtenen Schoß möglicherweise der ganzen Welt; und gelangt das Band an die Öffentlichkeit, geht sie mit ihrer Muschi rund um den Globus hausieren. Setzt sie damit nicht ihren guten Ruf aufs Spiel? Wird es nicht ihrer zukünftigen Karriere schaden?
Kann sie der Diskretion ihres Liebsten vertrauen? Ihres derzeitigen Liebsten! Was ist, wenn sie ihre Liebschaft wieder mal wechselt? Andererseits reizt sie das pikante Abenteuer. Schließlich gibt sie nach. Halb linkt sie ihn, halb sinkt sie hin. So sind die Weiber, schreibt Heine. Sie folgen nur ihrer angeborenen Natur; und wenn sie auch nicht den verbotenen Kelch leeren wollen, so möchten sie doch manchmal ein bisschen nippen, an dem Rande lecken, um wenigstens zu kosten, wie Gift schmeckt.
Paris aber scheint den verbotenen Kelch hier auch wirklich leeren zu wollen. Rot ist der Abend auf der Insel von Palau / und die Schatten sinken – so Benn –, singe, auch aus den Kelchen der Frau / lässt es sich trinken! Der voyeuristische Betrachter merkt ihr die Befangenheit an, sie verleiht seiner Lust einen zusätzlichen Kitzel. Es ist, als würde sie vor der Kamera genotzüchtigt. Der Voyeur selber ist es, dem sie sich halb verweigert, halb ergibt; der sie so bedrängt und schändet...
Heute läuft das Band in aller Welt und lockt keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Sie liegt zwischen den Armlehnen im Sessel, die Füße in den Stöckelschuhen etwas auseinander genommen, brückenartig auf den Bettrand gestützt, lässt kurz eine Wade herabfallen. Der Lover auf dem Boden sitzend jetzt zwischen ihren Beinen, am Pussylicking. Sie nuschelt etwas, das er nicht versteht. Der Lover schlabbert schmatzend in ihrer Gabel. Sie hilft ihm auf die Spur, fasst sich mit der Hand an die Vulva, als zöge sie weitend an den Labien. Jetzt erst ihr leises Stöhnen, sie fügt sich in ihre privilegierte Lage. Ihr schwerer werdender Atem, der Lover leistet tüchtige Arbeit. Dummerweise achten sie nicht darauf, dass das Tête-à-Tête von Zunge und Klit von der keuschen Armlehne verdeckt wird. Bestimmt keine Absicht, pure Gedankenlosigkeit. Ihre Schenkel erzittern, möchte man meinen, allzu natürlich, als dass sie nicht doch etwas spüren sollte. Greift ihrem Adonis ins Haar.
Die Sesselorgie wird einen Augenblick unterbrochen, cunnilingus interruptus, dann auf dem Bett fortgesetzt. Sie, schwarzer BH und Strümpfe bis übers Knie – Schwarz steht ihr ausgezeichnet –, liegt auf dem Rücken, die hohen schwarzen Stöckel auf die Bettdecke gestemmt, er zwischen ihren aufgestellten Knien, die Hände in ihren Leisten, die Zunge an ihr, in ihr: 1 Night in Paris. That's a fair thought to lie between maids' legs, sagt ja schon Hamlet zu Ophelia: ein schöner Gedanke, zwischen den Beinen eines Mädchens zu liegen. Schöner noch, wenn das Mädchen Paris heißt und nur noch einen BH und Kniestrümpfe anhat. Wieder aber liegen sie so, dass Paris' Intimität verdeckt bleibt. Man kann nur ahnen, wie seine Zunge ihr Praeputium clitoridis spaltet, auf das dünnhäutige Schwellgewebe trifft, dessen feine Nerven den Reiz ins Zentralnervensystem lenken. So saugt er praktisch direkt in Hiltons Gehirn herum.
Liebt Solomon sie auch wirklich so, dass er dazu befugt ist? fragt sich der Dichter in meinem Roman, da, wenn er nur etwas potenter gewesen wäre, Paris seine eigene Tochter sein könnte – Henri, haha, der panerotische ewig-jüdische Golem, der überall dort in die Bresche springt, wo eine schöne Frau von ihrem treulosen Lover verwahrlost wird! Jetzt werd' bloß nicht sentimental, Henri, Lieber, du brauchst dir um Paris' Liebesglück keinen Kopf zu machen! Das Gör ist erwachsen und muss selber wissen, wen sie womit an sich, in sich lässt!
Trifft Solomon die richtigen Stellen in den elysischen Gefilden ihrer Lust – dort, wo ihre Liebe für ihn umhegt und kodiert ist? Jedenfalls legt er beachtliche Geduld an den Tag und nimmt sich mächtig viel Zeit, das spricht für ihn. Offenbar will er sie direkt mit der Zunge zur Klimax bringen. Paris liegt meist still, fast so, als ob sie schliefe, ihr entringt sich kein gespieltes Gestöhne, kein leidenschaftlich aufgebäumtes Gehabe. Ihre steil aufragenden Knie in gleichbleibend diszipliniertem Abstand auseinander, ohne ekstatische Verrückung, Verzückung. Daher wohl der Ausdruck steiler Zahn. Schließlich stöhnt sie einmal kurz auf und gibt ihre Ekstase zu erkennen. Ist sie wirklich unter Solomons Gezüngel gekommen?
Gibt sie es nicht nur vor?
Sei nicht albern, Henri, du brauchst dir um Paris' Orgasmen keinen Kopf zu machen! Das Gör ist alt genug, um zu wissen, mit wem sie's treibt! Aber so ist er. Ständig ist er besorgt um all die sterblichen Frauen seit der Antike – um all diese schönen Schatten, die seit Jahrtausenden über die Erde gehuscht sind. Melancholisch überkriecht uns der Gedanke: dass von den Originalen jener Bilder, von all jenen Schönen, die so lieblich, so kokett, so witzig, so schalkhaft und so schwärmerisch waren, von all jenen Maiköpfchen mit Aprillaunen, von jenem ganzen Frauenfrühling nichts übriggeblieben ist als diese bunten Schatten, die ein Maler, der gleich ihnen längst vermodert ist, auf ein morsch Stückchen Leinwand gepinselt (– heute auf einem Server im Netz gespeichert) hat, das ebenfalls mit der Zeit in Staub zerfällt und verweht. Besorgt vor allem um die Loci in ihrem Zerebrum wo ihre sexualhormonellen oder orgasmischen Zentren lokalisiert sind. Verfehlte Liebe, verfehltes Leben! Solomon jedenfalls scheint es so zu begreifen, denn ab dann geht er, wie wenn er's sich jetzt verdient hätte, zum richtigen Koitus über.
Der aber steht schon auf einem andern Blatt.
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