Blog 80
Sicher trägt der fehlende natürliche Konsens, wo sich keiner mehr auskennt, dazu bei, dass, wo die Partner sich nicht mehr einig werden, die Scheidungszahlen in astronomische Höhen schnellen. „Das weiß ja jeder“, so Elizabeth Kiehl in ,Schoßgebete': „Wenn es im Bett nicht mehr läuft, ist es nur eine Frage der Zeit, bis alles den Bach runtergeht. Davon bin ich fest überzeugt.“
Zumindest ehrlich zueinander sollten die Liebenden sein. „Hör mal, Schatz“, könnte der Liebende zur Geliebten sagen oder es ihr auf ähnliche Weise zu verstehen geben, „ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass ich dich sexuell nicht befriedigen kann, und du hast es bestimmt schon gemerkt. Keiner aber kann das außer dir selbst. Genauer gesagt, keiner kann das, wenn überhaupt, besser als du selbst. Alle Welt weiß, oder sollte wissen, dass es keinen vaginalen Orgasmus gibt, dass die Frau nur klitoral zum Höhepunkt kommt und dass sie folglich vom Koitus so gut wie nichts hat. Dass folglich also auch du von unserm Koitus kaum was hast. Natürlich kann ich versuchen, dich oral und manuell klitoridal zu befriedigen, – aber auch da bin ich sicher, dass du dir das selber viel besser machst. Auch da komm ich an deine Selbstbefriedigung niemals ran, und du lehnst vielleicht wie viele Frauen, laut der Philosophin Simone, die klitoridale Stimulation durch mich ab, weil sie, noch mehr als die vaginale, dir wie aufgezwungen erscheint.
(Wir zitierten früher schon Thomas Mann aus dem Tagebuch des 45-Jährigen vom 17. Oktober 1920 zu seiner Frau Katja, geb. Pringsheim: „Dankbarkeit gegen K., weil es sie in ihrer Liebe nicht im Geringsten beirrt oder verstimmt, wenn sie mir schließlich keine Lust einflößt und wenn das Liegen bei ihr mich nicht in den Stand setzt, ihr Lust, d. h. die letzte Geschlechtslust zu bereiten. Die Ruhe, Liebe und Gleichgültigkeit, mit der sie das aufnimmt, ist bewunderungswürdig, und so brauche auch ich mich nicht davon erschüttern zu lassen.“ Sowie die Notiz vom 13. Mai 1921: „Umarmung mit K. Meine Dankbarkeit für die Güte in ihrem Verhalten zu meiner sexuellen Problematik ist tief und warm.“)
Denn, so quasi à la Madame Simone, wenn du einerseits unter meinem Egoismus leidest, der nur an meine eigene Befriedigung denkt, wirst du möglicherweise auch durch meinen zu ausgesprochenen Willen, dir Lust zu verschaffen, verletzt. Jede macht das von innen heraus besser als irgendjemand von außen her. Wir reiben immer nur das grobe Leder aneinander ab, und keiner ist der einsamen Lust des andern gewachsen. Also muss, wie wir's auch drehen und wenden, unser Liebesspiel immer unbefriedigend bleiben, tun wir daher erst gar nicht so, als wär's anders! Und lassen wir uns auch nicht einreden, irgendwelchen anderen Leuten ginge es besser. Diese Erfahrung haben wir, wenn's wirklich stimmt, der noch naiven ,Ars amatoria' des alten Ovid von vor 2000 Jahren voraus. Geben wir uns keinen naiven Illusionen hin, sondern machen wir das Beste daraus! Worauf es allein ankommt, ist unsere Liebe!“
So könnte der Liebende zur Geliebten sprechen.
Und sie? „Hör mal, Schatz“, könnte sie ihm erwidern, „keiner erklärt das besser als du! Aber meinst du vielleicht, das wär was Neues für mich? Meinst du, das ist mir nicht klar? Auch ich weiß natürlich, dass ich auch dich nicht im entferntesten so befriedigen kann, wie du es dir selber machst. Der Koitus ist auch für den Mann nur ein schlechtes Surrogat für die Onanie. Zwischen Daumen und Fingern seid ihr – laut Becketts ,Molloy' – allemal besser dran. Oder wie Hemingway schreibt: ,Vier gegen einen'? Meinst du vielleicht, ich weiß das nicht? An deine Selbstbefriedigung komm ich, wie Elizabeth Kiehl alias Charlotte Roche nahelegt, niemals ran. Natürlich kann ich dir in the state of the art den Schwanz lutschen und dich nach allen Regeln der Kunst oral und manuell befriedigen; aber auch so weiß ich, dass du dir das selber viel besser machst. Deiner jahrzehntelangen Gewohnheit und Sexsozialisation bin ich so wenig wie Elizabeth ihrem Georg gewachsen. Unser Liebesspiel wird also auch so immer unvollkommen und bruchstückhaft bleiben. Glaub' aber nicht, dass das bei irgendeinem andern Flittchen besser wäre!
Und doch möchte ich um nichts auf der Welt darauf verzichten, dich ab und an, wenn dir danach ist, in mir zu spüren. Es ist ein so schönes Gefühl. Männer und Frauen passen sexuell nicht zusammen. Sie passen aber ausgezeichnet in der Liebe zusammen!“
Sollten die Liebenden nicht so zueinander sprechen?
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