Blog 19
Damit zurück zum zwischengeschlechtlichen Sex! „Die Lust“ der Frau beim Coïtus, schreibt Simone de Beauvoir ziemlich doppeldeutelnd, „wird dabei durch Kontraktionen der inneren Auskleidung der Vagina erreicht. Lösen sich diese in einem ausgesprochenen und abschließenden Orgasmus? Das ist ein Punkt, über den noch diskutiert wird. Die anatomischen Daten sind sehr vage. ,Der anatomische Befund und das klinische Verhalten beweisen hinlänglich, dass der größte Teil des vaginalen Innern nicht innerviert ist', sagt unter anderem der Kinsey-Bericht …
Ich habe schon davon gesprochen, dass es nicht genau feststeht, ob die vaginale Lust überhaupt je zu einem ausgesprochenen Orgasmus führt. Die Frau spricht sich über diesen Punkt selten aus, und selbst wenn sie genau sein will, bleibt sie außerordentlich vage … Sie verlangt die Erregung, die Wollust im Allgemeinen, aber ihr Körper zielt nicht auf einen deutlichen Abschluss des Liebesaktes hin. Aus diesem Grunde endet für sie der Coïtus eigentlich nie. Er führt überhaupt zu keinem Ende … In Indien raucht anscheinend der Gatte, während er seinen ehelichen Pflichten genügt, gern die Pfeife, um sich von seinem eigenen Vergnügen abzulenken und das seiner Gattin andauern zu lassen.“
Soweit Simone. Lösen sich die Kontraktionen der inneren Auskleidung der Vagina in einem ausgesprochenen und abschließenden Orgasmus? ,Das ist ein Punkt, über den noch diskutiert wird': auch heute noch, wie der vorliegende Blog beweist. Der Grund: ,Die Frau spricht sich über diesen Punkt selten aus. Und selbst wenn sie genau sein will, bleibt sie außerordentlich vage'? Das ist aber an sich selbst schon eine außerordentlich vage Ausdrucksweise, die viel an philosophischer Klarheit zu wünschen übrig lässt. Denn entweder, ,die Frau' will genau sein, – dann darf sie nicht außerordentlich vage bleiben. Oder sie bleibt außerordentlich vage, – dann aber kann sie, wenn sie nicht gerade Sprachschwierigkeiten hat, nicht besonders genau sein wollen!
In anderen Worten, die Frau weiß offenbar selber nicht recht, was sie eigentlich will!?
Vermutlich nämlich will sie gar nicht besonders genau sein. Sie will gar nicht klar mit der Sprache heraus und Tacheles reden, sei es, um ihren ahnungslosen Partner nicht zu brüskieren, zu verprellen und ihm seine männlichen Illusionen zu nehmen, – sei es, um sich nicht selbst die Wahrheit eingestehen zu müssen.
Die Wahrheit nämlich, dass sie beim Coïtus eindeutig eben doch keinen Orgasmus hat!?
Lieber täuscht sie sich selbst und andern einen coïtalen Orgasmus vor, als zugeben zu müssen, dass sie eben doch keinen hat? Das erinnert einmal mehr an die Stelle aus einem Interview der Autorin der ,Orangenprinzessin', Nathalie Weidenfeld, bei ihrem femininen Erfahrungsaustausch mit der tz-Kolumnistin Maria Zsolnay vom 9. Oktober 2015 über die ,Unwägbarkeiten des Familienlebens': „Ich würde sagen, Sex und Kinder sind die beiden Themen, bei denen die Frauen am meisten lügen.“
Das stimmt ganz gut mit Simones Ausdrucksweise überein: denn um bei der Frage, ob sie beim Liebesakt einen Orgasmus hat, nicht lügen zu müssen, bleibt die Frau lieber ,außerordentlich vage' – was aber doch wiederum wohl nur eine andere Form der Lüge ist. Dass die Frauen ,sich über diesen Punkt so wenig wie möglich aussprechen', scheint dann nur verständlich insofern, als der, der sich so wenig wie möglich ausspricht, auch nicht besonders genau zu sein braucht, und der, der überhaupt nichts sagt, auch gar nicht erst eigens zu lügen braucht. Am Ende lügen sie indirekt dennoch, wenn sie beim Sex ihrem Partner eine coïtale Wollust und einen Orgasmus vortäuschen – oder ihn jedenfalls im Glauben daran lassen –, die sie in Wahrheit nicht haben.
Wenn sie über diesen Punkt – den fehlenden Höhepunkt – lieber nicht reden, oder eben nicht allzu genau reden, oder höchstens außerordentlich vage reden, – so also deshalb, weil sie es vor ihrem Partner nicht zugeben und ihn nicht mit der nüchternen Wahrheit konfrontieren und ihm damit seine schönsten Illusionen rauben wollen: Bildet er, der Macho, sich in der Regel doch ein, er könnte seiner Partnerin dieselbe coïtale Wollust und denselben coïtalen Orgasmus verschaffen, den er selber durch sie hat. Auch bräuchte sie ihn ja gar nicht erst zu täuschen, wenn sie ihn nachher wieder enttäuschen wollte!
Dennoch schiene es objektiv besser, die Frauen legten ihre Karten offen auf den Tisch und sprächen sich so ausführlich, genau und eindeutig wie nur irgend möglich darüber aus, denn, wie Heinrich Heine schreibt, ,wir wissen auch, dass ein Glück, das wir der Lüge verdanken, kein wahres Glück ist'!
Vielleicht würde die Frau ihrem Gatten ja sogar auch gern gestehen, dass sie beim Coïtus mit ihm keinen Orgasmus hat und er sie nicht befriedigen kann, – wenn sie von ihm nur wenigstens mal danach gefragt würde. Denn es ihm ungefragt zu verklickern, würde sich wie ein Vorwurf anhören. Nun wird sie von ihm aber meist gar nicht danach gefragt, – vielleicht deswegen nicht, weil er implizit schon einen negativen Bescheid fürchtet und es deshalb lieber erst gar nicht so genau wissen will.
Und wenn er wirklich einmal danach fragt, ist es eher eine rhetorische Frage, welche die bejahende Antwort schon unausgesprochen voraussetzt. Dann will die liebende Frau seine maskuline Erwartungshaltung natürlich nicht enttäuschen und lügt ihm – und sich selber? – lieber was in die Tasche, anstatt ihm schlicht seine Voreingenommenheiten zu rauben.
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