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Aber schmeicheln die Männer sich nicht seit Jahrhunderten, auch wenn es ihn gar nicht geben sollte, mit dem weiblichen vaginalen Orgasmus?
Genauer gesagt, entweder sie ignorieren überhaupt, dass beim Sex auch die Frau einen Orgasmus hat oder haben könnte, oder aber sie gehen wie selbstverständlich davon aus, dass sie den gleichen Orgasmus hat wie sie selber, den sie dann ihrer eigenen Potenz und Manneskraft zugute halten. Ich erinnere mich einer typischen Passage des namhaften englischen Autors D. H. Lawrence, die genau dies weibliche Erleben wiedergeben soll. Ich weiß nicht mehr den Titel des Werks, die Stelle aber habe ich damals abgeschrieben.
Was also fühlt die Frau wirklich beim Koitus? Lawrence glaubt es zu wissen: „Sie kann nur warten, warten und stöhnen, als sie spürt, wie er sich zurückzieht, sich aus ihr zieht, sich zusammenzieht und es zu dem schrecklichen Augenblick kommt, da er ganz aus ihr gleiten und fort sein würde. Während doch ihr Schoß offen ist und weich und sanft und nach ihm schreit – wie eine Seeanemone unter der Flut, nach ihm schreit, dass er wieder zu ihr komme und ihr Erfüllung bringe. Bewusstlos vor Leidenschaft, klammert sie sich an ihn, und er gleitet nie ganz aus ihr, und sie fühlt, wie seine weiche Knospe sich in ihr regt und seltsame Rhythmen sie durchspülen, mit seltsamer, rhythmischer, wachsender Bewegung, schwellen, schwellen, bis sie ihr ganzes klaffendes Bewusstsein überfluten, und dann beginnt wieder die unsagbare Bewegung, die keine wirkliche Bewegung ist, sondern reiner, immer tiefer sprudelnder Wirbel des Empfindens, tiefer und immer tiefer trichtert sie sich durch ihr ganzes Gewebe und ihr Bewusstsein, bis sie ein einziges, sattes, konzentriertes Fließen des Gefühls ist und daliegt und schreit, in unbewussten, unartikulierten Schreien. Die Stimme aus der tiefsten Nacht, das Leben! Fast scheu hört es der Mann unter sich, als sein Leben in sie überfließt. Und als es versiegt, versiegt auch er und liegt ganz still, nichts mehr wissend, und langsam löst sie ihre Umklammerung und ruht reglos.“ Zitatende!
Analog in Lawrences Roman ,Lady Chatterley': „Und auf dem Grund ihres Innern teilten sich die Tiefen und wogten auseinander von dem Mittelpunkt sanften Eindringens aus, als der Taucher tiefer eindrang, immer tiefer, sie immer tiefer berührte, und tiefer, tiefer, tiefer, wurde sie bloßgelegt, und machtvoller rollten die Wogen ihres Seins dahin, fort von ihr, ließen sie zurück, bis jäh, in sanftem, schauerndem Erdbeben, der Kern all ihres Plasmas getroffen wurde – sie sich getroffen wusste – und die Vollendung über sie kam und sie verging.“
,Seeanemone' klingt ziemlich treffend, da die weibliche Vagina beim Orgasmus sich pulsierend öffnet und schließt wie der sich öffnende und schließende Mund der fischverschlingenden Seedahlie. „Seltsame Rhythmen durchspülen sie, schwellen, schwellen, mit seltsamer, rhythmischer, wachsender Bewegung, bis sie ihr ganzes klaffendes Bewusstsein überfluten, bis sie ein einziges, sattes, konzentriertes Fließen des Gefühls ist und daliegt und schreit, in unbewussten, unartikulierten Schreien“? Das deutet auf einen schier markverzehrenden, konvulsivischen Orgasmus, der ihr instinktiv ununterdrückbare Schreie der Lust entringt. „Die Stimme aus der tiefsten Nacht, das Leben, das der Mann fast scheu unter sich hört...“ – das sind die orgastischen Lautäußerungen der Geliebten, die der Mann seiner phallischen Potenz zuschreibt und mit denen er sich nur allzu gern schmeichelt.
Davon unterscheidet sich auch die moderne aufgeklärte Literatur nicht. Ich denke an den Roman ,La Muerte de Artemio Cruz' – ,Nichts als das Leben' – des Mexikaners Carlos Fuentes, wo während der mexikanischen Revolution eine Frau von einem jungen Soldaten geschändet wird. Es geht wohl nicht so klar daraus hervor, ob sie dabei wirklich orgasmiert, immerhin aber scheint es ihr so zu gefallen, dass sie nachgerade zur Geliebten ihres Vergewaltigers wird!
In dem berühmten Roman ,Hundert Jahre Einsamkeit' des kolumbianischen Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez wird die junge Rebeca von dem fulminanten Arcadio Buendía unter karibischer Sonne in der Hängematte begattet: „,Komm her', sagte er. Rebeca gehorchte. Blieb an der Hängematte stehen. Eis schwitzend und spürend, wie sich ihre Eingeweide verknoteten, während José Arcadio mit den Fingerspitzen ihre Knöchel, dann ihre Waden und schließlich ihre Schenkel streichelte und murmelte: ,Ach Schwesterchen, ach Schwesterchen.' Sie musste sich übernatürlich anstrengen, um nicht zu sterben, als eine verblüffend beherrschte Zyklonenkraft sie an der Taille hochhob, sie mit drei Griffen ihrer Unterwäsche entledigte und sie zermalmte wie ein Vögelchen. Sie konnte noch gerade Gott für ihre Geburt danken, bevor sie in dem unbegreiflichen Genuss jenes unerträglichen Schmerzes das Bewusstsein verlor, während sie in dem dampfenden Sumpf der Hängematte plantschte, welche die Explosion ihres Blutes wie Löschpapier verschluckte.“ Ende des Zitats!
In dem unbegreiflichen Genuss jenes unerträglichen Schmerzes? Das Oxymoron verstehe, wer will, jedenfalls aber scheint der ,Genuss' nahezulegen, dass sie in Arcadios Armen explosiv orgasmiert. Die Explosion ihres Blutes – was wäre das anderes wenn nicht der orgasmische Blitz in ihrem Gehirn mitsamt der sprudelnden Hexenmilch aus allen ihren jungfräulichen Vesikeln, die sich unter Arcadios mächtigen Stößen wie sprühende Duschköpfe öffnen?
„Er spricht kein Wort Deutsch, und sein Englisch ist ein Witz“, berichtet Birte in Ralf Rothmanns ,Die Nacht unterm Schnee' 2022 über ihren Maschinisten auf der Oslo-Fähre, „aber ein Lächeln hat der! Von allem anderen ganz zu schweigen … Bei dem gehe ich hoch wie eine Rakete.“ Kaum zu glauben?
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