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  • freudholdriesenhar

Hat der Mann beim Coïtus einen Konflikt?

Blog 42


Untersuchungen wie die Kinseys“, bemerkt schon Simone de Beauvoir in ,Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau' von 1951, „weisen darauf hin, dass ein beachtlicher Anteil der Frauen nur dann zum Orgasmus kommt, wenn die Klitoris mit stimuliert wird.

So weit, so gut. Wer oder was aber sollte beim Koitus die weibliche Klit stimulieren?

Der einspurig durch die Vagina abgelenkte Penis bestimmt nicht, denn dort kommt es, wenn die Klitoris nicht mit stimuliert wird, zu keiner weiblichen Befriedigung. „Allerdings kann der Mann“, so Simone, „ihr in Ermangelung der normalen Befriedigung immer eine solche über die Klitoris verschaffen, die, was auch Moralisierende darüber behaupten werden, ihr Entspannung und Befriedigung zu verschaffen vermag.“

Gemeint ist offenbar, dass der Lover vorher, nachher oder zugleich mit dem vaginalen Verkehr im Pussylicking und Pussyeating oral, labial, lingual, dental, digital oder manuell, lutschend, saugend oder fingernd, auch ihren Kitzler masturbiert.

Was auch Moralisierende darüber behaupten werden: Mit den ,Moralisierenden' sind offenbar solche Zeitgenossen gemeint, für die die weibliche Klitoris ein tabuisiertes Rührmichnichtan ist – wie wenn die koitalen Vorlieben des Einzelnen irgendwas mit ,Moral' zu tun hätten und man darüber nicht schon seit der klassischen Pompeijanischen Vase oder der griechischen Jadeskulptur des leckenden Fauns mit dem abgebildeten Cunnilingus hinweg wäre, die deutlich genug von der klassischen Liebespraxis schon der alten Griechen und Römer zeugen.

(Oder der alten Hebräer im ,Hohelied' 7, 3: „שררך אגן הסהר אל יחסר המזג … Deine Vulva ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt“ … „Haben Sie das Hohelied des Königs Salomo gelesen?“, fragt Heine. „Nun, so lesen Sie es nochmals. Sie finden darin Alles, was ich Ihnen heute sagen könnte.“ Nicht umsonst war das dem ollen Jean-Jacques Rousseau für die Bibel zu schlüpfrig: so dass, wie er in ,Julie' schreibt, „wenn ich in der Kirche nur das Mindeste zu befehlen hätte, ich es dazu anwenden würde, aus der Heiligen Schrift das Hohelied zu verbannen, und es würde mir nur Leid tun, dass ich so lange damit gezögert hätte.“)

Indes, auch das – auf Neudeutsch so genannte – Pussylicking und Pussyeating scheint nicht unproblematisch und ohne heimtückische Schattenseiten. Denn: „Viele Frauen“, so Simone durchwegs kontrovers und nahezu widersprüchlich, „lehnen die klitorale Befriedigung durch den Partner ab, weil sie, noch mehr als die vaginale Lust, ihnen wie aufgezwungen erscheint. Denn wenn die Frau einerseits unter dem Egoismus des Mannes leidet, der nur an seine eigene Befriedigung denkt, wird sie anderseits auch durch einen zu ausgesprochenen Willen, ihr Lust zu verschaffen, verletzt …

Die Frau akzeptiert viel leichter die Lust, wenn sie in ganz natürlicher Weise aus der entspringt, die der Mann sich selbst holt, wie es bei einem glücklich vollzogenen normalen Coïtus der Fall ist. ,Die Frauen unterwerfen sich mit Freuden, sowie sie merken, dass ihr Partner sie nicht unterwerfen will', sagt wiederum Stekel.“

Die Lust der Frau entspringt in ganz natürlicher Weise aus der, die der Mann sich selbst holt, wie es bei einem glücklich vollzogenen normalen Coïtus der Fall ist: Eine Art mentale Übersprungsreaktion der männlichen Lust? Wie soll das vor sich gehen? Durch eine libidinös-hedonistische Unio mystica von männlichem Körper und weiblicher Seele? Der Mann holt sich seine Lust ja ganz körperlich-konkret, während die Frau sie erst von vaginal nach klitoridal und von dort transzendental in die Psyche transponieren müsste – ein eminentes synergetisches Kunststück. Wohl bloß eine schöne typisch männliche, auf Simone übergesprungene Wunschvorstellung!

Die Frauen unterwerfen sich mit Freuden, sowie sie merken, dass ihr Partner sie nicht unterwerfen will? Bezeichnend das Wort ,unterwerfen', wie wenn die Frau, um dem Mann – und letzten Endes auch sich selbst – Lust verschaffen zu können, sich ihm namentlich ,unterwerfen' müsse! Wer sich aber submissiv unterwirft, verzichtet seinerseits freiwillig auf die Rechte und Vormachtstellung dessen, dem man sich unterwirft. Indem also die Frau sich – nicht allein körperlich – unterwirft, liefert sie sich dem präpotenten Partner aus, ohne der Lust, die er sich ,holt', auch selber teilhaftig zu werden. Bei Stekel jedenfalls scheint bei solcher Unterwerfung von der weiblichen ,Lust' erst gar nicht mehr die Rede!

„Wenn sie umgekehrt diesen Willen herausfühlen“ – den spürbaren Willen des Mannes, auch ,ihr Lust zu verschaffen'! –, so Simone, „lehnen sie sich auf. Vielen ist es zuwider, sich mit der Hand liebkosen zu lassen, weil die Hand ein Werkzeug ist, das an der Lust nicht teilhat, die sie verschafft, weil sie Tätigkeit und nicht sinnliches Empfinden ist. Und wenn der Geschlechtsteil selbst nicht erregte Sinnlichkeit ist, sondern als ein geschickt verwendetes Werkzeug erscheint, empfindet die Frau denselben Widerwillen. Darüber hinaus scheint ihr jeder Wiedergutmachungsversuch die Unmöglichkeit nur zu bestätigen, die Empfindungen einer normalen Frau kennenzulernen. Stekel stellt nach einer ganzen Reihe von Beobachtungen fest, dass das ganze Bestreben der sogenannten frigiden Frau auf die Norm hinausläuft: ,Sie wollen wie eine normale Frau zum Orgasmus kommen, jedes andere Verfahren befriedigt sie seelisch nicht' …

Der Mann begeht einen schweren Fehler, wenn er seiner Partnerin seinen eigenen Rhythmus aufzwingen und sich hartnäckig darauf versteifen will, ihr einen Orgasmus zu verschaffen. Oft erreicht er dabei nur, dass er die Form der Wollust zerstört, die sie auf ihre besondere Art zu durchleben begonnen hatte. Lawrence hat diese beiden gegensätzlichen Formen der Erotik sehr wohl erkannt. Es ist jedoch willkürlich, wenn erklärt wird – und er tut dies ebenfalls –, dass die Frau keinen Orgasmus zu kennen braucht. Wenn es ein Fehler ist, ihn um jeden Preis hervorrufen zu wollen, ist es ebenfalls verkehrt, ihn auf jeden Fall zu verweigern …

Es ist auch möglich, dass die erotische Form sich auf eine gleichmäßige Art, ohne einen ausgesprochenen Höhepunkt, ganz ruhig auflöst. Das Gelingen erfordert durchaus nicht, wie viele peinlich genaue Männer etwas vereinfachend meinen, eine mathematische Synchronisierung der Lust, sondern vielmehr die Herstellung einer erotischen Gesamt-Form. Viele bilden sich ein, der Frau einen Genuss zu verschaffen, sei eine Angelegenheit der Zeit und der Technik, ließe sich also erzwingen. Sie wissen nicht, bis zu welchem Grade die Sexualität der Frau durch die gesamte Situation bedingt ist. Die Wollust ist bei ihr, wie gesagt, eine Art Rausch. Sie verlangt eine völlige Hingabe.“

Bezeichnend hier das Wort Wiedergutmachungsversuch, – als hätte der Mann mit dem reinen Vaginalverkehr etwas Schlechtes getan, für das er sich im Nachhinein zu rehabilitieren und Wiedergutmachung zu leisten hätte! Oder als müsse er sich für den vergeblichen Versuch, ihr vaginal Lust zu bereiten, revanchieren und klitoridale Reparationsleistungen erbringen.

Vielen ist es zuwider, sich mit der Hand liebkosen zu lassen, weil die Hand ein Werkzeug ist, das an der Lust nicht teilhat, die sie verschafft, weil sie Tätigkeit und nicht sinnliches Empfinden ist“? Das gilt dann ja aber auch oral, lingual und labial, denn was der Hand recht ist, ist der Zunge nicht mehr als billig. Und wenn der Geschlechtsteil – Klit oder Vag – selbst nicht erregte Sinnlichkeit ist, sondern als ein geschickt verwendetes Werkzeug erscheint, empfindet die Frau denselben Widerwillen? Wie aber soll die Klitoris zu erregter Sinnlichkeit werden, wenn sie bei exklusivem Vaginalverkehr gar nicht mit tangiert wird? Und Lawrence habe diese beiden gegensätzlichen Formen der Erotik sehr wohl erkannt – wenn er erklärt, dass die Frau überhaupt keinen Orgasmus zu kennen braucht?

Sie wollen wie eine normale Frau zum Orgasmus kommen, so Wilhelm Stekel, jedes andere Verfahren befriedigt sie seelisch nicht? Wie aber kommt eine normale Frau denn de facto zum Orgasmus? Doch nur durch die klitoridale Stimulation! Daran aber will sie den Mann gerade nicht aktiv sein lassen – was Wunder, wenn sie es sich selber am besten macht? Also nur durch koital gleichzeitige Masturbation: indem sie sich beim Geschlechtsverkehr gleichzeitig klitoridal selbst befriedigt?

Ein beachtlicher Anteil der Frauen – wenn nicht alle – kommt überhaupt nur dann zum Orgasmus, wenn die Klitoris mit stimuliert wird. Verschafft der Mann ihr in Ermangelung der normalen Befriedigung nun aber – manuell oder oral – diese klitoridale Befriedigung, dann ist es ihr zuwider und sie „empfindet denselben Widerwillen. Es ist auch möglich, dass die erotische Form sich auf eine gleichmäßige Art, ohne einen ausgesprochenen Höhepunkt, ganz ruhig auflöst“? Ist das der libidinistischen Weisheit letzter Schluss: Die Frau hat so oder so keine Befriedigung und gibt sich ganz ruhig damit zufrieden?

Was resultiert daraus?

In anderen Worten, der Mann kümmert sich um die Lust der Frau am besten überhaupt nicht direkt – weil er dabei sowieso keine Chance hat –, konzentriert sich ganz auf sein eigenes Pläsier – wobei er dann wieder der Egoist per Definition ist –, und hofft im Übrigen bei solch zweigleisig entkoppelter, entgleister Lust darauf, dass sie sich ihr prekäres Genüge irgendwie schon selber verschafft.

Wie anders aber sollte man es ihr denn dann überhaupt noch recht machen können?

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