Blog 116
Die Absicht der pornografischen Filme liegt auf der Hand: die sexuelle Erregung des Betrachters. Nicht lang, und Harrys Glied in der Hose ist so erregt, dass er es feucht und warm von Tropfen präejakulatorischer Lust in sein Unterzeug rinnen spürt.
Auf die Dauer des Films wird das unterschwellige Jucken zur lustgeladenen Drangsal; seine unterdrückte Männlichkeit will sich recken und strecken, ist aber so eingezwängt und geknebelt, dass kein Raum dafür ist. Einmal, verstohlen um sich blickend, ob ihn keiner der Nächstsitzenden sieht, greift er sich heimlich in die Hose, um es wenigstens der Länge nach auszurichten.
Je mehr der aufreizenden Bilder und Szenen von der Leinwand her aber auf ihn einprasseln und -strömen, desto größer wird die Drangsäligkeit seiner Lenden. Sollte ein Mann sich überhaupt freiwillig in eine so kompromittierende Lage begeben? sich entfesselter Lust aussetzen? fragt er sich. Ist das nicht unter seiner männlichen Würde?
Am Ende ist es, als erfülle ihn von Kopf bis Fuß, vom Scheitel bis zur Sohle ein einziges großes Jucken, wie er es kaum je gekannt, als bestünde er selbst vom Scheitel bis zur Sohle nur mehr aus diesem Jucken, – zusammen mit dem kaum widerstehlichen Drang, sich durch die nötigsten Machenschaften davon zu befreien. Es sind die Millionen und Abermillionen entflammter Zellen im elysischen Feld der Lust in seinem Gehirn, die zu endgültigem Feuern gebracht werden wollen.
Das ist aber schwer machbar. Was fällt dir bei, lieber Harry? Du kannst ja nicht wohl im öffentlichen, wie immer auch abgedunkelten Raum deinen prickelnden Ständer aus der Hose nehmen und ungestört masturbieren! Spätestens da hat die Liberalisierung des Sexualstrafrechts ihre Grenzen, spätestens da schnappt die Falle der bürgerlichen Zensur wieder zu. Ertappt man ihn bei der Selbstbefriedigung im zivilen Raum, wird er der Erregung öffentlichen Ärgernisses wegen polizeilich in Gewahrsam genommen und strafrechtlich mit Sanktionen belegt. So muss er es, ob er will oder nicht, auf später verschieben.
Natürlich ist der Inhalt der Filme, realistisch betrachtet, extrem lebensfremd, unrealistisch und haarsträubend verzerrt. Das gilt für alle Pornos: Indem auf der Leinwand als bare Münze verkauft wird, was in der wirklichen Welt nie und nirgendwo so vorkommt, wird die Realität auf krasseste Weise verfremdet. Die Welt des Porno ist eine irreale Parallelwelt, in der die gesellschaftliche Wirklichkeit auf hedonistische Weise pervertiert wird. Das freudianische Realitätsprinzip wird suspendiert und zugunsten des Lustprinzips völlig zum Verschwinden gebracht.
Liegt im wirklichen Leben des Erotikers und hypererotischen Menschen – angesichts der Menge liebreizender Frauen, die ihm nicht gehören und niemals gehören werden – das Lustprinzip in ständigem Konflikt mit dem Realitätsprinzip, so wird im Porno das Realitätsprinzip völlig ausgeblendet und links liegen gelassen, so dass den erotischen Phantasien der Person keinerlei reale Widerstände mehr entgegenstehen und ihre latente Lust hemmungslos erfüllt wird.
Es ist gleichwie in Patrick Süskinds Roman ,Das Parfum' 1985 auf Jean-Baptiste Grenouilles großer Orgie auf dem Marktplatz des französischen Grasse, als alle Beteiligten „sich von ihm an ihrer empfindlichsten Stelle erkannt und gepackt“ und sich „im erotischen Zentrum getroffen“ fühlen: „Es war, als besitze der Mann zehntausend unsichtbare Hände und als habe er jedem der zehntausend Menschen, die ihn umgaben, die Hand aufs Geschlecht gelegt und liebkose es auf just jene Weise, die jeder einzelne, ob Mann oder Frau, in seinen geheimsten Phantasien am stärksten begehrte.“ Der Porno tut, was da auch bei der parfümierten Verfilmung noch schamhaft unterdrückt blieb, en fait und in detailliertester Anschaulichkeit.
Es wäre daher ganz witzlos und würde auch niemandem beifallen, einen Pornofilm cineastisch kritisieren oder qualitativ bewerten zu wollen – er erhebt ja gar keinen Anspruch darauf, realistisch oder künstlerisch wertvoll zu sein; im Gegenteil würden alle rationalistischen Einwände der Vernunft nur stören. Es sind allein die irrealsten erotischen Phantasien und sexuellen Tagträumereien, die hier zu schimärischer Wirklichkeit werden. Nie auf die Handlung kommt es an, nur auf die sexuellen Handlungen, und diese erscheinen in Cinemascope mit sensationeller Eindringlichkeit. Die intimsten sexuellen Phantasien werden direkt und unverstellt auf die Leinwand projiziert. Bisher war nur das Papier der Schmuddelhefte so geduldig. Jetzt ist es im großen Stil auch das Zelluloid des Lichtspiels.
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