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  • freudholdriesenhar

Eine schöne neue Welt des Sexus?

Blog 129


Nur ein trüber und schaler Rausch? Eigentlich hätten wir Beckett mehr zugetraut.

Wie auch immer, all das ändert sich radikal durch den Porno.

Da sind schon die Voraussetzungen ganz andere. Da nämlich, und seit noch nicht mehr als den vier Jahrzehnten seiner gesetzlichen Freigabe, hat der Jugendliche gewöhnlich schon beim ersten Erwachen seiner Sexualität mit dreizehn oder vierzehn leichten Zugang zum Internet und seinem ungezügelten Onlinesex. Er wird sich daher, kaum dass sein Sexualtrieb bemerkbar wird, erst gar nicht mehr lang auf seine unbewaffnete Phantasie verlassen, sondern gleich und unverzüglich in die schöne neue Welt der promiskuitiven Bilder eintauchen.

Auf den entsprechenden Sites wird er überschwemmt von der Flut aufreizendster Szenen. Vielleicht klickt er sich durch den Schwarm digitaler Sirenen allmählich durch bis zur Frau seiner Träume – oder ihrer digitalen Phantasmagorie –, einer Frau, die seinem Ideal am meisten entspricht, und stellt sich vor, er selber sei es, mit dem sie es treibt und dem sie sich vorbehaltlos hingibt.

Da sie allen und jedem freizügig ihre Gunst gewährt, fällt ihm die Vorstellung des Koitus mit ihr nicht schwer; und da der Bildschirm sie ihm tabulos in allen intimen Bewegungen und Aspekten vorführt, kann er sie, die Hand am Genital, in allen Positionen und Stellungen besitzen. Ganz wie Jean Charles Gervaise de Latouche es schon 1742 in den ,Memoiren des Saturnin' beschreibt: „Die Phantasie belebt sich und tänzelt über alle Weiber hin, die einen je entzückten; hier taucht die Brünette, dort die Blonde, jetzt die Kleine, dann die Große auf und mit der Faust vögelt man die ganze Welt. Es gibt keinen Unterschied der Stände; die Königin auf dem Throne und die stolzesten Schönen müssen sich ergeben und gewähren einem, was man nur will. Vom Throne herab geht’s zur Grisette...“

Gerade so; nur dass es jetzt nicht die unzuverlässig schwächelnde Phantasie des Einzelnen mehr ist, die die Bilder selbst heraufbeschwören und angestrengt festhalten muss, – sondern die Leinwand als willige Dienstmagd individueller Illusion sie ihm pausenlos in gestochener Schärfe und frei Haus verfügbar macht. Denn wohingegen er sich früher jedes einzelne Detail aus dem Reservoir seiner erotischen Einbildungskraft heraufholen und selbst ausgestalten musste, braucht er sich nun darum erst gar nicht mehr zu kümmern, der Bildschirm übernimmt den Job und liefert ihm die images scabreuses in allen Facetten und hedonistischen Variationen automatisch wie auf dem silbernen Tablett.

Leinwand oder Bildschirm heute sind das promiskuitive erotische Schlaraffenland, in dem ihm „alle Weiber, die einen je entzückten“, von selber in den Mund fliegen; „hier die Brünette, dort die Blonde, jetzt die Kleine, dann die Große, keinen Unterschied der Stände; die Königin auf dem Throne und die stolzesten Schönen, vom Throne herab zur Grisette …“ Er saugt, so einmal Heine, auch hier die Wohldüfte der Schmeichelei mit Wonne ein und amüsiert sich sehr. Er wandelt auf Blumen, und manche gebratene Taube fliegt ihm ins offne, gaffende Maul.

Und jetzt, da es keinerlei mentalen Aufwand mehr kostet, sich stimulierend auf Touren zu bringen, hat er auch keine Eile damit. Er hat bis zur sicheren Klimax alle Zeit der Welt, und je mehr er sich davon leistet, und je länger er bei der Stange bleibt, desto mehr akkumuliert seine hormongesättigte Lust. Auch kann er die Frau seiner Träume – oder sie den Mann ihrer Träume! – so beliebig wechseln, wie er oder sie es will, und alles ganz mühelos, ohne eigenständig strapazierte Phantasie, und auf einen Mausklick ganz automatisch. Er oder sie braucht, die Hand am Geschlecht – und damit mittelbar direkt im Gehirn –, nicht im Mindesten mehr kreativ werden, sondern immer bloß auf die einströmenden Reize reagieren.

So erfährt er oder sie, soweit seine oder ihre libidinöse Begabung es erlaubt, am Ende mit traumwandlerischer Sicherheit tatsächlich jenes von Nabokov beschriebene „glühende Prickeln, das sich jetzt in einem Zustand absoluter Sicherheit, Zuversicht, Zuverlässigkeit befand, die nirgends sonst im bewussten Leben zu finden ist“; da wo die tiefe, heiße Süße gesichert und auf gutem Wege zur äußersten Verzückung ist und er oder sie, um die Glut zu verlängern, sich so lange zurückhalten mag, wie er oder sie den rauschhaften, toxischen Zustand erträgt.

Dabei ist es ein Sexualrausch, wie er beim realen zwischengeschlechtlichen Verkehr kaum erreichbar sein dürfte. Hat der Koitus das Versprechen der Onanie noch niemals gehalten, – so ist es spätestens jetzt eine Form der Befriedigung, die erst eigentlich das Versprechen erfüllt, das die Onanie bisher gab!

Denn mehr als das, was der heutige Bildschirm an bisher unerfahrbaren sexuellen Reizen liefert, ist schlechterdings nicht mehr denkbar, realiter nicht mehr zu toppen. All dies war vor den letzten fünfzig Jahren noch keinem Jugendlichen die ganze Menschheitsgeschichte lang möglich. Er lebt heute in einer sexuell beispiellos privilegierten Ära.

Der laut Anke Schaefer (in ,Deutschlandfunk Kultur') vor 70 Jahrmillionen biologisch-evolutionär entwickelte tierische Orgasmus ist, seit der Entstehung des Homo sapiens vor 300.000 Jahren, auch dessen lustvollste Erfahrung; zugleich verzögerte es die kulturelle Evolution am längsten, bis er auch publik zugänglich und visuell sichtbar gemacht wurde. Seit unvordenklichen Zeiten musste das Subjekt des Sexus, um sich instinktives Genüge zu verschaffen, die notwendigen Vorstellungen und Bilder immer aus sich selbst heraus generieren, wobei die Vorstellungen zumeist bloß verschwommen und bruchstückhaft blieben, auch wenn es vermutlich auch hier immer schon begabte Visionäre gab.

Was aber früher nur die routiniertesten Roués und Wüstlinge zustande brachten, das kann heute jedermann via Netz. Das ist heute Sexualstandard und alltägliche Gepflogenheit. Lässt nicht jedes Kind heute an Hedonismus jeden Don Juan oder Giacomo Casanova der Geschichte alt aussehen?

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