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Die biologisch ursprüngliche Erotik wäre die Autoerotik, der Selbstgenuss? Ein auf Anhieb eher verblüffender und nachgerade umstürzlerisch erscheinender Gedanke!
Nicht umsonst aber konstatierte schon die Philosophin Simone de Beauvoir im Kontext der weiblichen Sexualität, dass das Klitoris-System sich mit dem Erwachsenwerden nicht ändert und die Frau, ganz ungeachtet aller koitalen Vereinigung mit einem Mann, diese klitorale ,erotische Autonomie ihr ganzes Leben lang behält': Sie kann sich optimal jederzeit klitoridal befriedigen, heißt das – ganz unabhängig davon, ob sie jemals mit einem Mann Vaginalverkehr hat oder nicht.
Das scheinbare Genital Klitoris ist so, wenn es nicht unbedingt etwas mit der Generierung der nächsten Generation zu tun hat und nichts generiert, aber auch gar kein ,Genital' im eigentlichen Sinn. Es steht der Genitalfunktion sichtlich unbeteiligt außen vor, und ihre Verwendung zur intersexuellen Lust erscheint eher die Ausnahme als die Regel.
Die Frage ist mithin, ob die Klit, die so im strengen Sinn des Worts überhaupt nicht mit zu den ,Genitalien' zu rechnen ist, stattdessen nicht vielmehr als eigenständiges, autonomes, autarkes Lustorgan sui generis angesehen werden muss. (Auch dem ,Planeten' Pluto wurde im Zuge fortschreitender Erkenntnis ja der Planeten-Status abgesprochen, und was hier der kosmologischen Wahrheitsfindung recht ist, das wäre da der sexologischen billig!)
Was aber der weiblichen Lust recht ist, ist auch der des Mannes billig: Auch seine hauptsächlich im Penis lokalisierte ,Sexuallust' wäre primär – zumal auch er sich ihr jederzeit ohne den Akt der Fortpflanzung bedienen mag – eine authentische Quelle der Lebens-Lust schlechthin. Dass dieselbe orgasmische Wollust bei ihm – im Unterschied zu ihr – insbesondere auch beim Geschlechtsakt angeregt, aufgeregt und aktiviert wird, wäre dann eher eine nachrangige sekundäre und sozusagen kontingente Begleiterscheinung der geschlechtlichen Anatomie und Mechanik.
Die evolutionäre Natur hätte so gesehen die Geschlechtslust seit 70 Jahrmillionen von Hause aus für die erotische Autonomie – id est, die hedonistische Befriedigung in der Selbstbefriedigung – des individuellen Subjekts selbst geschaffen, und hätte im männlichen Fall zusätzlich, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagend, opportunerweise auch bei der Fortpflanzung Gebrauch davon gemacht: als ein sporadischer side effect des allgemein subjektkonzentrierten Prinzips – um nicht zu sagen, als Ausnahme von der Regel?
Die sogenannte Geschlechtslust wäre so verstanden nicht primär die Lust bei der fleischlichen Vereinigung, sondern zuerst und vor allem die natürliche Quelle der ipsistischen Lust beider Geschlechter jedes für sich, ihrer ursprünglichen Lebenslust und -motivation, – und die eigentliche Geschlechtslust als Spezialfall wäre nur eine besondere Ab- und Spielart davon?
Erscheint nicht die koitale Lust des Mannes als Variation und Spielart auch seiner Selbstbefriedigung? Der Koitus an sich wäre so im Grunde kaum etwas anderes als eine Onanie ,in vaginam', wie es der Psychoanalyse schon früh genug auffiel: „Es gibt Männer“, so Sándor Ferenczi, „die mit ihren Frauen, trotz der Abnahme der Libido, häufig sexuell verkehren, dabei aber in der Phantasie die Person der Frau durch eine andere ersetzen, die also gleichsam in vaginam onanieren.“ Ist das aber nicht auch schon so, ohne dass die Person der Frau ,durch eine andere ersetzt' werden müsste? Ist nicht auch das, was als Koitus praktiziert wird, schon Onanie in vaginam?
Von den Frauen selbst jedenfalls scheint es nicht selten so empfunden zu werden: „In der Vagina“, so Simone, „erfolgt die Durchdringung und Befruchtung der Frau. Nur durch das Dazwischentreten des Mannes wird sie zu einem erotischen Zentrum, und jenes stellt immer eine Art Vergewaltigung dar.“
Das klingt hart. Den naheliegendsten Hinweis darauf gibt aber schon der Sexus der Frau als solcher, dessen hauptsächliche Quelle der Geschlechtslust – die Klitoris – vom Fortpflanzungsorgan – der Vagina – grundsätzlich abgesetzt und entkoppelt ist; so entkoppelt und verselbstständigt, dass das Eine ganz unabhängig vom andern stattfinden kann oder gar muss: Die Frau kann sich sexuell – klitoral – befriedigen, ohne ihr eigentliches Genital – vaginal – in ihre Lustgewinnung überhaupt mit einzubeziehen; gleichwie sie andererseits – vaginal – befruchtet und geschwängert werden kann, ohne namentlich sexuelle Lust – die bei ihr immer eine klitorale ist – dabei zu empfinden. Verweist das nicht klipp und klar auf die natürliche Trennung der weiblichen Libido von ihrer Fortpflanzungsfunktion?
Wozu also hat die Frau von Natur aus ihre Vagina?
Sie hat sie naturgemäß, damit sie, wenn ihr danach ist, von einem geliebten Mann begattet und geschwängert werden kann – nach heutigem emanzipierten Ermessen also nur dann, wenn sie es so will oder zulässt. Sie hat sie aber von Hause aus nicht als eine Art heteronomes uneigennütziges Triebabfuhr- oder Spermaentsorgungsorgan für den Mann, damit der seinen überschüssigen Ballast darin abschlägt!
Die in den Blogs 12, 89 in einer Runde versammelter Damen zur Sprache gekommene Frage: warum die Männer eigentlich immer in der weiblichen Vagina abdrücken wollen? – war also nur scheinbar redundant und naiv, sondern in Wahrheit zutiefst berechtigt und hintersinnig.
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